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Urteil des Menschenrechts-GerichtshofsKreuze verletzen Elternrecht

Der Menschenrechtsgerichtshof wendet sich einstimmig gegen Kreuze in Klassenzimmern. Geklagt hatte eine Italienerin. Die Regierung kann in Berufung gehen.

Vorerst menschenrechtswidrig: Kreuze im Klassenzimmer. Bild: Hasby - Lizenz: CC-BY

FREIBURG taz | Kruzifixe in italienischen Schulen verstoßen gegen die Religionsfreiheit der Schüler und das Erziehungsrecht der Eltern. Dies hat am Dienstag der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg entschieden.

Die Klägerin Soile Lautsi, eine 1957 geborene Mutter von zwei Kindern, stammt aus Finnland, ist aber italienische Staatsbürgerin. Sie lebt in Abano Terme bei Padua in Norditalien. Im Jahr 2001 beschwerte sie sich bei der örtlichen Schulverwaltung, dass in den Klassenzimmern ihrer Kinder, damals 11 und 13 Jahre alt, jeweils Kruzifixe hängen. Die Schulverwaltung weigerte sich jedoch, die Kreuze abzuhängen.

In Italien sind Kruzifixe in öffentlichen Gebäuden zwar nicht vorgeschrieben, aber üblich. 2002 empfahl das Erziehungsministerium in einem Schreiben an alle Schulleiter, Kruzifixe im Konfliktfall nicht abzuhängen.

Soile Lautsi klagte deshalb vor italienischen Gerichten und berief sich auf die italienische Verfassung, die die Trennung von Kirche und Staat vorsieht. Das zuständige Verwaltungsgericht entschied jedoch, dass das Kreuz in öffentlichen Schulen nicht als religiöses Symbol anzusehen ist, sondern als Symbol der italienischen Geschichte, Kultur und Identität. Damit sei es auch ein Symbol der Prinzipien von Gleichheit, Freiheit und Toleranz sowie der Trennung von Kirche und Staat.

Der EGMR konnte diese kühne Argumentation nun nicht nachvollziehen. Unter Leitung der belgischen Richterin Françoise Tulkens stellte er einen Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention fest, die 45 europäische Staaten unterzeichnet haben. Der italienische Staat muss der Klägerin 5.000 Euro Schadenersatz bezahlen.

Die Schüler, die gezwungenermaßen die Schule besuchen, müssten vor staatlichen Glaubensbekundungen geschützt werden, so die Richter. Vielmehr sei der Staat nach der Konvention im Bereich der öffentlichen Erziehung zu Neutralität und Pluralismus verpflichtet. Das Kreuz als Symbol der katholischen Mehrheitsreligion könne kaum zugleich ein Zeichen des Pluralismus sein. Die Entscheidung in der siebenköpfigen EGMR-Kammer fiel einstimmig. Italien kann aber noch die Große Kammer des EGMR mit 15 Richtern anrufen.

In Deutschland hat das Bundesverfassungsgericht 1995 in einem Fall aus Bayern ähnlich entschieden. Die Pflicht, Kruzifixe an staatlichen Schulwänden aufzuhängen, verletzte die Religionsfreiheit der Schüler. Nach großer öffentlicher Empörung führte Bayern ein Gesetz ein, das Schülern nur die Möglichkeit zum Widerspruch gibt. Der Schulleiter muss dann einen "gerechten Ausgleich" finden, bei dem auch der "Wille der Mehrheit" zu berücksichtigen ist.

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23 Kommentare

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  • O
    ole

    Leute... der Junge in Berlin hat KEINEN eigenen Gebetsraum bekommen!!! Schon gar keinen öffentlich finanzierten. Es muß ihm lediglich gestattet sein, sein(e) Gebet(e) in einem Raum durchzuführen. Das könnte übrigens auch jeder Christ, wenn erwünscht. Natürlich darf er auch nicht mitten im Unterricht aufstehen und in den Raum abdampfen. Das Domizil ist weder mit Spezial-Teppich ausgestattet, noch ist das Sperrgebiet für Ungläubige und auch Frauen dürfen diesen Raum betreten, wann immer sie wollen, mit oder ohne Schlappen, mit oder ohne Kopftuch, mit oder ohne Kaugummi. Dieser Raum wurde auch nicht aus Steuermitteln grün angemalt und es wurde auch keine Predigerplattform eingebaut. Der Raum gehört also nicht den Muslimen der Schule, wie fälschlich hier verbreitet wird, er gehört der Schule. Und wenn der Raum mal gebraucht wird, kann man den Schüler jederzeit einen anderen Ort zuweisen.

     

    Das hier behandelte Urteil sagt nicht, daß die Schüler nicht mehr mit dem Cruci Fixus um den Hals rumlaufen dürfen. Es geht nur um das Kreuz an der Wand.

    Ob man das nun sinnvoll findet oder nicht... sei mal dahingestellt.

  • S
    Semilocon

    Wer glaubt, dass die Bibel als ethisch vertretbares Wort Gottes hingedreht werden kann, sollte sie mal lesen. Jesaja: "Wie diese Menschen ihre eigenen Wege wählen und an ihren Gottesbildern Gefallen haben, so wähle ich für sie die Strafe aus und bringe über sie Schrecken. (...) Ja, Mit Feuer und Schwert hält der Herr Gericcht über alle Sterblichen und viele sind es, die der Herr erschlägt"

    Christen sind also, von ihrem ethischen Leitfaden her, egozentrisch, arrogant und inhuman-archaisch. Jeder heutige Mensch hat zumindest ein Minimum mehr Moral als dieser Gott, der willkürlich Menschen umbringt. Nächstenliebe? Fehlanzeige! Auch Jesus droht bevorzugt mit der Hölle. Soll das ein Argument sein? Wie man zu so etwas dankbar und gläubig sein kann, ist mir unverständlich.

  • KB
    karin bryant

    Wenn religioese Symbole wie z.B.das Kreuz aus Klassenzimmern verbannt werden soll dann duerfen Kopftuecher und Kippas auch dort nicht auftauchen.Gebete in der Schule muessen dann auch verboten werden. Es geht nicht an dass ein Symbol verboten wird und andere erlaubt sind.

  • V
    vic

    Das wird wohl jeder anders interpretieren.

    Ich wurde getauft, da ich für Widerstand vermutlich zu klein war...

    Mit 16 bin ich ausgetreten. Atheist sein bedeutet für mich selbstverständlich die Abkehr von jeder Religion.

  • A
    Armist

    Ich frage mich warum immer mit "Atheismus" ins Feld gezogen wird. Atheismus ist nichts weiter als nicht an einen Gott zu glauben, dass sagt über die zugehörigkeit von Religion teils wenig aus. Buddisten sind auch Atheisten, da sie keine Gottheiten verehren.

     

    Als Mensch der religionsfrei lebt und dies auch zu 100% vertritt, begrüsse ich dieses Urteil. Ich kann nicht auf der einen Seite mit Terrorgefahr und angeblichen negativimage ein Kopftuchverbot verhängen mich aber gleichzeitig an das Kreuz klammern. Das passt nicht in meinen Augen.

     

    Religion hat in der Bildung und in der Politik nichts zu suchen.

  • M
    Müller

    Sicher ist es nicht einfach, gegenüber Religon tolerant zu sein - aber es ist die einzige Möglichkeit, Menschen die Ausübung ihrer Religion zu ermöglichen. Wer keine Religion hat, braucht auch keine Religionsfreiheit - aber er sollte sie denen zugestehen, die eine Religion haben. Ein Urteil, das Menschen den Gebrauch religiöser Symbole ihrer Religion verbietet, verletzt das Recht der freien Religionsausübung. Und ein Staat ist nicht neutral - er ist weltanschaulich geprägt und hat das Recht, seine Weltanschauung zu präsentieren. Und warum sollte es nicht möglich sein, dass unter einem Kruzifix ein Mädchen mit Kopftuch sitzt? Beide Religionen gibt's - warum sollte man sie ausblenden? Ein Beispiel für ein friedliches Miteinander ist wirkungsvoller.

    Übrigens scheinen die Richter des europäischen Gerichtshofes unter Religionsfreiheit eine religionsfreie Zone zu verstehen, statt die Freiheit der Religionsausübung. Hier sollten sie vielleicht einmal ins 16. und 17. Jahrhundert zurückblicken, als man lernte, mit anderen religiösen Überzeugungen zusammen zu leben. Haben wir das wieder verlernt?

  • M
    moslaemm.wordpress.com

    Ey Janet Kruzificks, woher hassu Märschen von de Gebetsraum? Hassu nisch richtisch gelesen de Urteil von de Wedding Gericht?

    Steht nur drin, dass Beten is erlaubt in Schule un nisch dass Moslem kriegt eigene Gebetsraum. Sagst du mal Bescheid deine Stefan, Alta. Sonst er baut noch Gebetsraum in PI-Zentrale.

     

    Habsch schon 3 doische Frauen, weissu. Machsch viele Kopftuchmädschen und Spuckjungen, isch schwör.

  • O
    ohno

    Ach Dori, Du kennst eine öffentliche Schule in D, in der "islamische Symbole" aufgehängt werden? Sehr interessant. Andere Unterschiede zu Deinem Beispiel und dem im Urteil verhandelten werde ich Dir lieber nicht erklären.

  • T
    teufelsschnecke

    Ein sehr gutes und weises Urteil. Das Kreuz ist ein Symbol einer Ideologie die keinesfalls frei war von Folter, Kreuzzügen, Krieg und der Eroberung.

     

    Es ist allerdings zu befürchten daß derzeit in Europa grassierende "Mitte/Rechts"-Regierungen das Urteil ignorieren oder versuchen es mit juristischen Spitzfindigkeiten zu umgehen.

     

    Übrigens ist Religion Opium für das Volk. Und wer will schon ein Junkie sein.....

  • J
    Janet

    Kruzifixe werden verboten, Gebetsräume erlaubt...seltsame Logik!

  • HD
    Hannes der Säufer

    Gut so! Religion darf keinem aufgezwungen werden!

     

    Nun müssen nur noch so Dinge wie der Quasi-Zwang zum Sankt Martinszug in Kindergärten und Schulen angegangen werden. Und es muss das Kopftuchverbot folgen.

     

    Genauso muss das Kirchengebimmel ebenso wie Muezzingeschrei aufhören. Dann haben wir endlich Ruhe vor diesen ganzen Missionierern.

     

    Ich verstehe nicht, warum eine Welt die bei Dingen wie der String-Theorie und Raumfahrt angekommen ist immernoch mit Religionen zu kämpfen hat.

     

    Naja das Volk lässt sich wohl zu gerne blenden. :-/

  • S
    Säkularisation123

    Ein längst überfälliges Urteil. Dass sich die Bayern daran anpassen werden, ist aber zumindestens in naher Zukunft sehr unwarscheinlich. Man ist ja ein "Freistaat"...

  • G
    Gockeline

    Wenn Kreuze als religiöses Symbol verboten sind,

    dann müßen Kopftücher als religiöses Symbol auch verschwinden.

    Fische als Jesussymbol muß verschwinden.

    Judensternanhänger in Schulen verboten.

    Was gibt es sonst noch an Symbolen von Religionen?

    Ist das nicht eine Überreaktion von Gerichten?

    Oder muß man unterscheiden ob es zur Kultur gehört?

  • K
    Kruzifix

    Ein muslimischer Schüler bekommt per Gericht einen öffentlich finanzierten Gebetsraum zugesprochen, zugleich müssen die Kruzifixe abgehängt werden. So sieht Gleichheit vor Gericht aus...

  • I
    imation

    Als Ersatz für Kruzifixe gibt es ja muslimische Gebetsräume.

    Ist ja auch viel besser wenn die wahre Religon der Liebe und Toleranz gefördert wird.

  • RM
    Reiner Moysich

    Endlich europäisches Kruzifix-Verbot an staatlichen Schulen!

     

    Dass viele so genannte "Christen" über das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte verärgert sind, finde ich zum Teil verwunderlich, zum Teil verständlich.

     

    Die Reaktion ist für mich verwunderlich, da die Europäische Menschenrechtskommission - wie aber auch das Grundgesetz! - schon seit Jahrzehnten die Religions- bzw. (besser und richtiger) Weltanschauungsfreiheit in eine "positive" und "negative" Freiheit unterteilt.

    Die "positive" Freiheit bedeutet, dass jeder seinen religiösen oder nichtreligiösen Glauben frei ausüben kann; die "negative" besagt, dass dabei jedoch natürlich (wie bei jeder Art von Freiheit) die Freiheit des Einen dort aufzuhören hat, wo die Freiheit des Anderen anfängt. Dies heißt nun hier, dass jeder europäische Staat sehr genau darauf achten muss, dass er keine Weltanschauung bevorzugt oder benachteiligt. Diese eminent wichtige unparteiische Weltanschauungsneutralität wird natürlich massiv verletzt, wenn in staatlichen(!) Schulen Kruzifixe oder christliche Kreuze in den Räumen angebracht werden - nicht jedoch ebenso alle Symbole der anderen ca. 4000 religiösen und nichtreligiösen Weltanschauungen. Da Letzteres aber praktisch nicht möglich ist, bleibt als einzige faire Lösung, dass dann keinerlei Weltanschauungssymbol die Räume dominiert.

     

    Der Ärger so genannter "Christen" ist nur dann verständlich, wenn sie gemäß des seltsamerweise noch immer bestehenden kriegerischen christlichen Absolutheitsanspruchs (die einzige richtige, wahre Religion zu haben und als solche anerkannt zu werden) sich einbilden, sie müssten auf jeden Fall bevorzugt werden - auch wenn diese abstoßende arrogante Einstellung massiv grundgesetz- und menschenrechtswidrig ist. Sie denken dabei äußerst egoistisch und handeln genau entgegengesetzt zur christlichen Nächstenliebe; denn laut Bibelwort Lev. 19,18 wird unter Nächstenliebe verstanden: "Liebe deinen Nächsten; denn was dir unlieb ist, tue ihm nicht!".

     

    Da es sicher Christen sogar sehr "unlieb" wäre, wenn z.B. statt Kreuzen Buddha-Statuen in allen Klassenzimmern ständen, werden sich wahre Christen bestimmt über dieses bahnbrechende und äußerst gerechte Urteil freuen.

     

    Weil die christliche Nächstenliebe unverzichtbar zum Christsein dazugehört, müssten folglich alle so genannte "Christen" (einschließlich Papst!) entweder umdenken hin zu wirklicher Mitmenschlichkeit - oder aber darauf verzichten, sich Christ zu nennen!

  • V
    vic

    Raus mit dem Kreuz. Völlig richtig so. Wer´s unbedingt braucht kann es sich ja um den Hals hängen.

    Menschenrechtswidrig finde ich jedoch zu hoch gehängt, aber grundgesetzwidrig im Sinne Artikel 3 GG/Abs.3, ist die bisherige Praxis definitiv.

  • A
    ast61

    Und wo ist Europa mittlerweile gelandet, dass es sich mit so einem Pipifax abgeben muss?

     

    Lissabon lässt grüssen. Viel Spass.

  • WL
    W-D. Lassotta

    Was für eine Absurdität. Soeben wurde mit Herrn Klaus noch die Umgehung der Rechte ausgehandelt und schon verschreibt man sich wieder dem Kampf für die Wahrung dieser. Dabei geht von den in Klassenzimmern hängenden Kreuzen sicherlich weniger Ungerechtigkeit und Gewalt aus, als von den Beneš-Dekreten...

     

    Manche Meldungen kann man tatsächlich nur noch unter dem Stichwort "Realsatire" verbuchen...

  • G
    Gott

    Herrlich :-D

     

    Das christliche Kreuz in staatlichen Schulen als Symbol für die Trennung von Kirche und Staat zu verkaufen, grandiose Argumentation.

  • EI
    EGMR, immer für eine positive Überraschung gut

    Es ist schlimm genug, dass ein Bundesstaat das Bundesverfassungsgericht ignoriert. Aber Bayern ist das kleinere Problem. Interessanter ist die Frage, ob Artikel 7 Absatz 3 des Grundgesetzes endlich gestrichen wird.

  • D
    Dori

    Was ist eigentlich mit dem Halbmond auf der türkischen Flagge, ist doch die BRD ein wertneutraler Staat, müsste sie nicht die offene Zuschaustellung von islamischen Symbolen in der Öffentlichkeit verbieten? Es wird Zeit, daß ein derartiges Urteil des Europäischen Völkergerichtshof gesprochen wird. Buaaah, was für ein lächerlicher Kontinent !

  • H
    Holger

    Ich bin froh und dankbar über dieses Urteil. Gerade die Linke, die früher einmal gegen Religion und Klerus gekämpft hat, ist ja seit einigen Jahren eher auf der Seite der Neoklerikalen und hat Verständnis für Forderungen nach Zensur (siehe Mohammed-Karikaturen). Nicht-Religiöse sind schlecht organisiert, sie haben keine Lobby, deshalb sind Gerichte so wichtig.