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Urteil des Europäischen GerichtshofsInzest darf weiter bestraft werden

Der Europäische Gerichtshof hat das deutsche Inzestverbot gebilligt. Die Richter wiesen die Klage eines 35-jährigen Leipzigers ab. Ihr Grund: Inzest sei in Europa nicht einheitlich geregelt.

Das Geschwisterpaar lernte sich erst im Erwachsenenalter kennen – Patrick S. musste dennoch ins Gefängnis. Bild: dpa

STRASSBURG dpa | Inzest darf in Deutschland weiter bestraft werden, ein Verbot der Geschwisterliebe verletzt nicht die Europäische Menschenrechtskonvention. Zu diesem Urteil kam der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg am Donnerstag. Die Richter wiesen damit die Beschwerde eines 35-Jährigen aus Leipzig ab, der jahrelang mit seiner Schwester eine Liebesbeziehung hatte und dafür mehrfach ins Gefängnis musste. Beide zeugten vier Kinder, zwei davon sind behindert. Das Urteil ist nicht endgültig, dagegen kann Berufung beantragt werden.

Der EGMR kam zu dem Schluss, dass der Umgang mit Inzest in Europa nicht einheitlich geregelt ist, auch wenn die Geschwisterliebe in zahlreichen Staaten verboten ist. Außerdem hätten deutsche Gerichte und das Bundesverfassungsgericht diesen speziellen Fall sorgfältig geprüft, hieß es in der Urteilsbegründung.

Der Beschwerdeführer Patrick S. war mit einer Klage in Karlsruhe gescheitert. In Straßburg machte er eine Verletzung des Rechts auf Achtung des Privat- und Familienlebens der Europäischen Menschenrechtskonvention geltend. Sein Anwalt Endrik Wilhelm nannte das Urteil "eine große Enttäuschung". Er habe den Eindruck, die Richter hätten sich nicht mit der gebotenen Tiefe mit dem Fall befasst.

Die beiden Geschwister waren getrennt voneinander aufgewachsen und hatten sich im Jahr 2000 kennengelernt. Beide stammten aus schwierigen Verhältnissen: Patrick S. wurde als kleines Kind von seinem alkoholkranken Vater misshandelt, lebte anschließend in Heimen und bei Pflegefamilien. Seine Schwester Susan wurde vom Jugendamt betreut. Patrick S. wurde 2009 aus der Haft entlassen, die Beziehung zu seiner Schwester besteht inzwischen nicht mehr.

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18 Kommentare

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  • N
    Nocheinmal

    Nocheinmal: wenn es ein "alles geht" gibt, möchte ich jetzt meinen Hund heiraten ! Das wäre das allerletzte Tabu, vielleicht neben Sex mit Toten.

     

    Vielleicht liebe TAZ druckt ihr das einmal ab und seid nicht einmal nicht opportun. Danke !

     

    Wie weit soll der Relativismus noch gehen ? Darf ich bald einen Baum heiraten, der aber keine Nadeln hat ?

     

    Nicht alles was man machen kann ist auch gut.

  • R
    Ralph

    Connie, Enzo:

     

    Das ist doch nur die halbe Miete.

    Einerseits haben wir in der heutigen Zeit das dringende Bedürfnis, alles und jeden gleich zu behandeln und allen und jeden größtmögliche Freiheiten einzuräumen. Wir schätzen das Recht der Kinder so hoch ein, daß ein Klaps auf den Po schon zu einer Anklage führen mag, und wir versuchen, sogar dem nicht mehr eigenständig lebensfähigen Menschen den Fortbestand seiner Existenz zu sichern (um nicht zu sagen aufzuzwingen).

     

    Auf der anderen Seite jedoch wird hier ein mündiges, sich liebendes Paar und seine vier Kinder juristisch fertiggemacht, die Partnerschaft zerstört und die Kinder den Eltern entrissen... weil beide blutsverwandt sind. Nicht einmal gemeinsam aufgewachsen sind sie -- dieses gern angeführte Argument greift also nicht. Praktisch betrachtet ist das einzige Verbrechen, das man den beiden anlasten könnte, dieses: sie haben sich ineinander verliebt.

     

    Es fehlt die Verhältnismäßigkeit. In der Weimarer Republik berief sich das deutsche Recht tatsächlich unter anderem auf "Zucht" und "Ordnung", "Moral", "Sitte", Anstand" oder "gutes Benehmen" - das ist heute *üblicherweise* nicht mehr der Fall.

  • J
    Jengre

    Nach § 173 sind sonderbarerweise sexuelle Handungen zwischen Geschwistern außer "Beischlaf" straffrei; nur der Geschlechtsverkehr ist von Strafe bedroht. Geht man nun davon aus, daß dies mit dem Gedanken an Zeugungsvermeidung so formuliert wurde, wird man enttäuscht, denn eine Strafreiheit bei nachgewiesener Unfruchtbarkeit gibt es nicht.

     

    Generell wäre es gut, wenn es grundsätzlich verboten wäre, daß z.B. ein 17jähriger Junge seiner 16jährigen Schwester "vorschlägt", mit ihm zu schlafen: Das jedoch ist auch wieder nicht der Fall, denn unter 18 ist der Inzest wiederum straffrei...

     

    Ein Gericht hat allerdings die Möglichkeit, bei § 173 das Verfahren einzustellen. Im hier vorliegenden Fall dürfte das öffentliche Interesse an den stattdessen mehrmalig verhängten Haftstrafen gering gewesen sein.

  • R
    Reisball

    @ unentschlossen

     

    Nein, es geht nicht darum die Fortpflanzung von Menschen zu verhindern welche wahrscheinlich erbkranke Kinder bekommen, es geht darum die Fortpflanzung zu verbieten weil die Leute genau wissen welch Risiko herrscht und das sowas unverantwortbar ist. Von mir aus können Geschwister tun und lassen was sie wollen, aber das Kinder kriegen sollte man bitte lassen, für sowas gibt es Adoption. Das ist besser als wissentlich behinderte Kinder auf die Welt zu bringen, welche ihr Leben lang auf Hilfe angewisen sind!

  • E
    Elvenpath

    @Foobar:

    Dann müssen sie auch dafür sein, dass Behinderte, deren Behinderung genetisch bedingt ist, keinen Sex haben dürfen und keine Kinder zeugen dürfen!

     

    Ganz davon abgesehen: Das Urteil wäre genau so ausgefallen, wenn das Paar verhütet hätte.

     

    Es geht hier einzig und allein um ein Gesinnungsgesetz. Und das muss, wie jedes andere Gesinnungsgesetz (Minderjährigkeitsanschein-Pornografie, gezeichnete Kinderpornografie, Hanfanbau für den Selbstgebrauch, Sterbehilfe) auf den Müll. Denn diese Gesetze beruhen auf einer überholten Moral- und Weltvorstellung, in der eine Mehrheit einzelnen Individuen ihren Willen bis tief in das Privatleben aufzwingen durfte.

  • EA
    Enzo Aduro

    @unentschlossen

     

    Aber zumindest diese (also die "Inzester") können sich auch Fortpflanzen (also Ihre Gene erhalten, ein legitimer, durch die Evolution begründeter Trieb) ohne das es zu solchen Erkrankungen kommt.

  • A
    abby_thur

    Wer möchte schon auf dem Schulhof verspottet werden: Haha, eure Eltern sind Geschwister!

     

    Inzest ist absolut inakzeptabel. Die Kinder sind die liedtragenden, und zwar nicht nur wegen der gesellschaftl. Ächtung, sondern auch wegen der Behinderung, mit der sie leben müssen.

  • H
    hans

    @Enzo Aduro

    Leider liegen sie da völlig falsch. Selbst die letzt Fachkraft aus dem Strafwesen wird eingestehen, dass das mit der Abschreckung leider nicht so funktioniert wie wir uns das vorstellen.

    Insbesondere bei allen gewalt-, sexuellen und Beziehungsthemen können sie gar niemand abschrecken. Ein Mensch der in eine andere Person (Hals über Kopf) verliebt ist, seis die Schwester oder wer auch immer, der überlegt sich nicht: "Hey, für 2 jahre Kanst mach ichs, für 5 nicht." So funktioniert unser Kopf und Körper nicht.

     

     

    Außerdem: Der einzelne zählt immer! Der wichtigste Grundsatz einer Demokratie und deswegen ist er ja auch gleich vorne im Grundgesetz verankert. Das Wohlergehen des Individuums muss im Fokus stehen, denn der Einzelne bildet die Masse.

  • CS
    Conny S.

    @Ralph:

     

    Es wurden ja beide Personen angeklagt. Die Verfahren gegen die Schwester wurden jedoch eingestellt, weil diese wohl offenbar geistig leicht behindert ist.

  • R
    Relevanz

    @foobar; your argument is invalid. Wenn derlei Paternalismus zugelassen ist, dann müsste man auch Frauen über 45 verbieten Kinder zu zeugen und alle behinderte Menschen sterilisieren.

    Und ich dachte das Kapitel mit der Euthanasie hätten wir seit 68Jahren hinter uns gelassen...

  • U
    unentschlossen

    @foobar @Jürgen Wolf.

     

    Ohne für mich zu einem Urteil gekommen zu sein, möchte ich die Frage aufwerfen: Verbieten wir also die Fortpflanzung von Menschen, die wahrscheinlich "erbkranken" Nachwuchs erzeugen? Das würde dann nicht nur Geschwister und nahe Verwandte einschließen.

  • M
    miesgelaunter

    wusste garnicht, dass es verboten ist, behinderte kinder zu kriegen. dann gehören aber viele bestraft

  • EA
    Enzo Aduro

    @Ralph

     

    Auf den Einzelfall gesehen mögen Sie mit der Schlechterstellung der Kinder durch das Urteil recht haben.

     

    ABER: Das ist ja nicht der einzige Aspekt des Strafrechts. Es geht auch um Abschreckung.

     

    Wenn jetzt all die anderen "liebenden Geschwister" jetzt höllisch auf die Verhütung achten, dann ist dem Gemeinwohl geholfen.

     

    Der Einzelne kann nicht das ausschließliche sein was zählt.

  • BV
    Blaublut von und zu

    Schlechte Nachricht für den deutschen Adel!

     

    @Jürgen Wolf: Wie kommt man auf die pralle Idee ausgerechnet im Forum der taz, einen Link zur SPRINGER-Presse zu setzen?

  • HS
    Hier Spricht Ihre Hoheit

    Inzest ist doch schon seit Jahtausenden den Eliten und Königshäusern vorbehalten, as dürfte doch weit und breit inzwischen durchgesickert sein.

  • R
    Ralph

    Dafür hab ich ja nun gar kein Verständnis. Warum sollte der Mann(!) ins Gefängnis, weil er - ums auf Mindeste zu reduzieren - mit der falschen Frau Kinder gezeugt hat?

    Darüber hinaus: Was ist mit der Frau? Ist sie also "unschuldig" ? Oder handelt es sich hier um Rechtsvorstellungen von vor 100 Jahren, als Mann und Frau ganz allgemein unterschiedlich behandelt wurden?

     

    Ich seh' ja ein, daß es genug und gute Gründe gegen Inzucht gibt. Das rechtfertigt in meinen Augen jedoch nicht ein solches völlig überzogenes Strafmaß, das dann auch noch - wenigstens dem Anschein nach - nur *eine* der beiden beteiligten Parteien betrifft.

     

    Und schließlich: Die Kinder. Im Ergebnis haben wir also nun effektiv eine staatlich erzwungene Scheidung, eine zerstörte Familie sowie vier Scheidungskinder -- von denen die Hälfte behindert ist und damit sicherlich besondere Zuwendung benötigen würde.

  • F
    Foobar

    Andere Zeitungen schreiben die ganze Wahrheit.

    Die beiden haben 4 Kinder gezeugt. 2 davon sind behindert. Genau aus diesem Grund ist Inzest verboten.

  • JW
    Jürgen Wolf

    Gutes und richtiges Urteil.

    Siehe dazu auch (um Folgen besser abschätzen zu können)

    http://www.welt.de/vermischtes/article732888/Wenn-der-Cousin-mit-der-Cousine-schlaeft.html