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■ Ursache ist das Mißtrauen gegenüber dem StaatSchmuggel als Sozialventil

Es mag merkwürdig erscheinen, wenn ausgerechnet ein Mitglied jener Institution, die zum Kampf gegen Schmuggel eingerichtet ist, diesen eher nachsichtig betrachtet. Und das auch noch, ohne selbst in fünfzig Dienstjahren jemals auch nur eine Sekunde in den Verdacht der Kungelei mit Schmugglern gekommen zu sein. Doch gerade jene fünfzig Jahre mit Tausenden von Festnahmen haben mir gezeigt, daß Schmuggel mehr ist als nur die Umgehung geltender Gesetze oder der Versuch einer Preisermäßigung für teure Güter. Es ist, zumindest in Italien, aber auch in vielen anderen südlichen Staaten, ein Weg, um dem Staat sein Mißtrauen auszusprechen und sich für erlittenes Unrecht zu rächen.

Natürlich sind dabei nicht die Heroingroßdealer und die Waffenhändler gemeint, wohl aber der kleine „Contrabbandiere“, der Zigaretten, Parfüms, Transistorradios und Videogeräte feilhält, die ihm seine Zulieferer aus dem Ausland herbeischaffen. Die meisten von ihnen haben seit ihrer Kinderheit geschmuggelt. Das war die wichtigste Erwerbsquelle der Familie – und niemand hat ihnen jemals etwas anderes angeboten. Alles was sie gelernt haben, ist das Handeln auf dem Schwarzmarkt.

Meine Kollegen und ich haben Dutzende von Malen versucht, Jugendliche aus diesem Kreis herauszulösen – es war stets vergeblich: Die „Bildung“, die sie bekommen haben, und ihre Sozialisation haben sie in eine andere Welt entlassen als in die der staatlichen Gesetze und des bürgerlich-genormten Zusammenlebens. Sie haben den Staat lediglich als Einrichtung kennengelernt, der alles, was man täglich braucht oder gerne hätte, mit Steuern belegt – ohne Gegenleistung: weder Sicherheit vor Überfällen noch Versorgung im Krankheitsfall, noch Arbeitsplätze, bei denen man genug verdient, um eine Familie zu ernähren.

Darüber hinaus habe ich bei vielen Schmugglern ein stark entwickeltes politisches Bewußtsein festgestellt. Selbst halbwüchsige Schmuggler reagieren bei Festnahmen bereits mit einer eindeutig gegen den Staat – und viel weniger gegen die Polizei – gerichteten Haltung: Es kommt bei ihnen eine „Staatsverdrossenheit“ zum Vorschein. Sie widersetzen sich willkürlichen Vorschriften, die kein Ausdruck von Demokratie sind, sondern von Hilflosigkeit der Herrschenden bei der Finanzierung ihrer eigenen Tätigkeit. Und da muß man ihnen, auch als Staatsdiener, leider oft genug zustimmen. Carlo Vitiello

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