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Urheber der Neonazi-Liste bekannt

■ Sind rheinland-pfälzische Behörden seit Juni informiert?

Koblenz (taz/dpa) – Die Urheber der Neonazi-Broschüre „Der Einblick“, in der zu Terror und Gewalt gegen politische Gegner aufgerufen wird, sitzen offenbar in Mainz. Wie der Koblenzer leitende Oberstaatsanwalt Norbert Weise gestern bestätigte, wurden Rechtsradikale spätestens seit dem 7. Juni 1993 über ein in Mainz geschaltetes „Nationales Info-Telefon“ (NIT) aufgefordert, Namen, Adressen, Autokennzeichen und Fotos von Antifaschisten zu sammeln. Diese sollten dann an eine Postfachadresse des rechtsgerichteten „Deutschen Informationsdiensts – Arbeitskreis Anti-Antifa“ nach Mainz geschickt werden.

Das NIT wird von dem 20jährigen Neonazi Sascha Chaves betrieben. Er ist Mitglied der neuformierten „Deutschen Nationalisten“, einer Nachfolgegruppierung der im Dezember letzen Jahres verbotenen „Deutschen Alternative“ (DA). Der ehemalige rheinland-pfälzische DA-Chef, Michael Petri (21) stellt dem NIT sein Mainzer Postfach plus Faxanschluß zur Verfügung.

Gleichzeitig bestätigte Weise gestern Hinweise, nach denen Neonazis ebenfalls am 7. Juni 1993 auf einem Anrufbeantworter des „Nationalen-Infotelefons“ angekündigt hatten, daß die gesammelten Informationen über politische Gegner in einer Broschüre veröffentlicht werden sollten. „Nach dem heutigen Erkenntnisstand liegt der Schluß nahe, daß es sich bei der erwähnten Broschüre um den Einblick handelt“, hieß es ergänzend aus Justizkreisen.

Die auf dem Anrufbeantworter des NIT vermerkten Texte wurden offenbar vom rheinland-pfälzischen Verfassungsschutz sowie dem Landeskriminalamt mitgeschnitten und ausgewertet. In Auszügen einer entsprechenden Tonbandaufzeichnung der Sicherheitsbehörden vom 7. Juni 1993 werden „alle Kameraden [...], die Informationen über Zecken besitzen,“ aufgefordert, diese der „Anti-Antifa Mainz“ zukommen zu lassen.

Gegen den Initiator des NIT hat die Koblenzer Staatsanwaltschaft im August Anklage vor einem Jugendschöffengericht erhoben. Der Prozeß soll am 16. Dezember eröffnet werden. Ihm wird unter anderem zur Last gelegt, über das NIT mehrfach Propagandamittel ehemaliger nationalsozialistischer Organisationen verbreitet und den Tatbestand der Volksverhetzung begangen zu haben.

Überdies wird er von der Staatsanwaltschaft verdächtigt, die seit Dezember 1992 vom damaligen Bundesinnenminister Rudolf Seiters (CDU) verbotene rechtsextremistische Organisaion „Deutsche Alternative“ (DA) fortzuführen.

Die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe ermittelt im Zusammenhang mit der Broschüre derzeit noch gegen Unbekannt.

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