Urdrüs wahrer Kommentar: In Gottes Hand
■ Über die funktionale Bewandtnis von voreiligen Korruptionsverdikten
Vor Gericht und auf hoher See sind Bestechliche und Unbestechliche gleichermaßen in Gottes Hand, und so kann es an dieser Stelle nicht darum gehen, über den vorläufigen Ausgang des Verfahrens in Sachen Marktmeisterei zu rechten.
Reizvoll und nützlich im Sinne einer weiteren Kultivierung des politisch-sozialen Klimas in diesem Gemeinwesen aber erscheint es mir, die Funktion von Geschenken und Aufmerksamkeiten zu beleuchten und jenseits aller voreiligen Korruptions-Verdikte die Frage aufzuwerfen, ob nicht das Bereiten und Entgegennehmen kleiner Freuden zu einer wahrhaft humanen Gesellschaft dazu gehört. Hochverdächtig sind mir persönlich Leute in irgendwelchen Verantwortlichkeiten, die nicht gern mal was Besseres trinken als den Sechserpack aus der Tanke. Suspekt ist mir ein jeder, der sich nicht gelegentlich zu fünf- oder sechsgängigen Schwelgereien verführen lässt, und wenn ich mit ein paar Kumpanen irgend jemand anlässlich des so selten gewordenen Festes einer Silberhochzeit zu einer kleinen Reise nach Venedig oder Wangerooge einlade, so nähme ich es persönlich sehr übel, wenn diese Freundlichkeit mit sauertöpfischer Miene einfach abgelehnt würde.
Mag sein, dass ich damit als Gebender auch die durchaus menschliche Absicht verfolge, den Anderen freundlich zu stimmen für künftige Pläne und mag hoffentlich auch sein, dass der Partner diese Intention erkennt und sie bei Würdigung und Wägung aller Argumente positiv für mich in den Entscheidungsprozess einfließen lässt.
Das Spiel von nehmen und geben – in jedem Falle um so vieles menschlicher und handhabbarer als die fixe Idee titanischer Moralisten mit Blutarmut und Gewebeschwäche, man könne jede Entscheidung abgeklärt und nach eindeutig definierten Kriterien ablaufen lassen und schon habe man das ultimativ gültige Ergebnis auf der Hand, das Optimum, das jeder vernünftigen Nachfrage standhalten könne.
Das bekannt gewordene Bäuerlein mit dem Schinken unterm Arm, das den Priester in alten Zeiten dazu brachte, das gefallene Mädchen vor Gott und den Menschen frei von Sünde zu erklären – hat es nicht mehr für das Glück des Individuums getan als das anämische Schlaumeierlein, das in liberalistischen Grundsatzerklärungen auf ungelesenem Papier sein Jahrhundert als trutzige Witzfigur in die Schranken forderte?
In diesem Sinne. Ischa Freimaak! Und das bisschen Karussellfahren, Bierchentrinken und Lebkuchenfuttern für lau, das sollte schon noch drin sein für alle, die die Bürgerweide gegen Frau Schicki und Herrn Micki verteidigen.
Entsprechenden Einladungen allzeit freudig entgegen blickt jedenfalls
Ulrich Reineking
P.S.: Ich möchte auch mal Marktmeister sein! Weiß ich doch von Bruder Karl Valentin nicht erst seit gestern: „Kunst ist schön, macht aber auch viel Arbeit ...“ Und die will schließlich bezahlt sein.
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