■ Urdrüs wahre Kolumne: Vom Samentröpfchen zum... Geschöpfchen
Nach etwa zwanzig 1.-Mai-Bieren des militanten Vergessens fällt es uns am Morgen danach ziemlich schwer, den gerechten Freitagskampf für Lebenslust und Menschenrechte aufzunehmen. Doch gebietet es die Chronistenpflicht, eine kleine Geschichte vom Kampf der Klassen hinter den Kulissen des Bremer Maizelts der neu erröteten SPD zu erzählen: Wurden dafür doch zwei Dutzend Lohndiener und Servierfräulein aus dem Jobber-Proletariat zu Stundenlöhnen zwischen 10 und 12 Mark engagiert, die in schwarz-weißer Kellner-Kostümierung um 18 Uhr zum Dienst anzutreten hatten. Dann aber erst eine Stunde später in Aktion treten mußten, weil es noch am trinkenden Maivolk mangelte. Als nunmehr drei spontane Betriebsrätinnen die Bezahlung dieser unfreiwilligen Aus-Zeit klären wollten, wurden die Leute kurzerhand gefeuert: So hatte jeder mal ein bißchen Vulkan-Feeling. Sozialdemokraten. Die tun was. Oder wußten wieder mal von nix, und hättenses gewußt, dann hättense aber mal. Klar das.
Delmenhorst ist nicht nur die Stadt mit der übelriechenden Fußgängerzone und der bestens geführten Imbißbude unweit des Bahnhofs, sondern auch renommierte Hochburg der Kriminalität und neuerdings auch der alles verratenden Kleinanzeigen-Lyrik deutscher Mütter im dortigen Kreisblatt: „Hi Jamie, erst war es nur ein Samentröpfchen, doch daraus wurde ein wunderbares Geschöpfchen und wie man heute weiß mit einem hellen Köpfchen. Nun trittst Du in die Welt der Erwachsenen ein, versuche weiter zu entscheiden zwischen Sein und Schein. Ich liebe Dich, bleib wie Du bist. Life is short play hard. In Liebe Deine Mom“. Unser Vorschlag für den diesjährigen BETTINA VON ARNIM-Preis der Zeitschrift Brigitte!
Da barmen wir uns also um die ökologisch richtige Erziehung der Kinder und empfahlen den Pädagogen der Klasse 1 c der Schule am Lüssumer Ring, das von den Schülern gewonnene Jaguar-Automobil in einer kreativen Materialaktion unschädlich zu machen, doch natürlich hört man nicht auf wohlmeinenden Rat und läßt das Killergeschoss am morgigen Samstag vor dem Textilhaus Harms am Wall unter Vorgabe eines Mindestgebots von 60000 Mark versteigern. Das eventuell künftig durch dieses Totmach-Mobil vergossene unschuldige (!) Kinderblut aber komme über angestellte und beamtete Lehrer gleichermaßen, die diese Schuld auf sich laden! Die mutmaßliche Spende eines Teilbetrags für Delfine, Vulkan-Waisen, Tschernobyl oder den Eisvogel des Jahres als Ablaßzettel gildet nich ...
Keinen Pardon auch für die grunzdusseligen Castor-GegnerInnen, die vermutlich denselben Agentenführer haben wie die VeganerInnen, die den liebenswerten und schweinefreundlichen Ökoschlachter aus Bremen vertrieben! Wieder mal wurde mir durch eure einfältigen Laubsägearbeiten am bahneigenen Strommast die Anreise nach Bremen um viele unsagbar lange Stunden verlängert, ohne daß von euch Nasenpriestern auch nur einer/eine auf den naheliegenden Gedanken gekommen wäre, den umweltbewußten Zugreisenden ein paar Bücher vorbeizubringen oder wenigstens ein bißchen Bier mit Happenpappen. Ihr seid menschenverachtend und wahrscheinlich sogar Mitglieder im Bertelsmann-Lesering ...
Am Vorabend des 1. Mai traf sich die Jugend Hannovers zum rave-mäßigen Tänzchen Open Air am Pavillon Raschstraße und entblödete sich nicht, dort massenhaft für Flaschenpreise von 6 Mark plus Pfand (kleine Flaschen!) amerikanisches(!) Bierspezialitäten wie ANNOISA BUSCH und BATTWAISR zu vertilgen und bei hyperteuren Cocktails lustige Yankee-Jugend zu spielen. Hoffnung allein spendete mir bei diesem Kulturfestival des US-Imperialismus ein junger Mann mit Walkman hinter dem Tresen eines Getränkestands, der verzückt immer wieder, vermutlich zu den Klängen aus seinem Kopfhörer, den Refrain „I shot the Sheriff“ mitsang. Na bitte. Es geht doch! Anders! Meint nach wie vor basisdemokratisch ökologisch und gewaltfrei
Ulrich Reineking-Bildstörung
P.S.: Aus ziemlich guten Gründen findet die für heute und morgen geplante Vorstellung des Kabaretts der Literarischen Gewalttätigkeiten mit UrDrü & Co in der GaDeWe nicht statt. Bitte weitersagen!
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