■ Urdrüs wahre Kolumne: Bingo oder Dildo?
Unter den Subkulturen dieser Stadt ist mir das Stammpublikum der Kaufhalle am Brill derart ans Herz gewachsen, daß ich mit diesen Menschen unbesehen jederzeit gern eine Zweiwochen-Reise mit Alltours unternehmen würde. Warum? Nur mal so zum Beispiel darum: Am Mittwoch nachmittag auf der Suche nach preiswerten Gummistiefeln für längst überfällige Gartenarbeiten sehe ich eine Kundin um 50 inmitten der Schuhabteilung, die sich emsig Notizen in eine kleine Kladde macht. Bemerkt, daß ich sie bemerke, und flüstert mir zu: „Wenn man so nett dichten könnte, da hätte man ein Hobby für's Leben!“Nett dichten? Und da sehe ich es auch: Zu jedem Discountpreis im Schuhbereich gibt es einen Reim von höchster Überzeugungskraft. Wie etwa diesen hier: „22 Märker/Machen keinen Ärger“. Oder: „Für 33 machen alle Leute/hier und heute fette Beute!“Beziehungsweise „28 Mücken/können mich entzücken“. Oder in lapidarer Kürze: „Wer 20 zahlt/der strahlt!“Wenn sich dieser Trend zur Gebrauchslyrik durchsetzt, ist mir um die Zukunft nicht bange. „Und sehe ich, verehrte Kaufhallen-Werbeleitung, einem persönlichen Vorstellungsgespräch mit Interesse entgegen!“In dieser Aufgabe könnte ich mich wahrhaft verströmen...
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Bingo oder Dildo? Was hamse uns vor Jahren alles vorgekrückt vom World Trade Center in Bremen, mit dem man den ganzen Asienhandel unter der Speckflagge sammeln würde. Jetzt inszeniert dort ein hoffnungsvolles Diepholzer Landei aus der Pornobranche im Mai eine Erotik-Messe mit s/m und anderen Lustbarkeiten, und eigentlich sollte man dies zum Anlaß nehmen, den Wirklichen und Geheimen Staatsrat Frank Haller in eine rote Galauniform zu stecken und vor dieses Denkmal bremischer Wirtschaftspolitik zu stellen: „Kommse mal rein, die Herrn, hier ist fickificki, da kann jeder mal abspritzen. Mörderbusen, Wahnsinnsmösen, Gummischwänze, Lederpeitschen. Ich zeichse das mal gaaanz unverbindlich!“Vermutlich wieder ungeschützter Verkehr mit Landesbürgschaft.
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Nachdem die Motorrad-initiative Unterweser ihre Saisoneröffnung mit dem Segen des Herrn Zebaoth in der Findorffer Martin-Luther-Kirche bereits am letzten Sonntag hinter sich gebracht hat („Wir wollen für Sicherheit auf der Straße beten und dafür, daß auch andere Verkehrsteilnehmer nicht leichtsinnig fahren“), brettert am Samstag die Arbeitsgemeinschaft christlicher MotorradfahrerInnen mit erwarteten zehntausend Bikern zum Braunschweiger Dom, um jener zu gedenken, die in der letzten Saison durch die Altöl-Lache direkt in den Himmel fuhren. Hier aber spricht UrDrü, der Prophet des Herrn: Ihr sollt den Namen Eures Gottes nicht unnützlich führen, weder Kinder noch Igel noch Hühner überrollen und besser mit dem Fahrrad oder zu Fuß durch den Elm wandern, denn solches gefällt IHM wohl. Eure Easy-Riderei aber ist IHM ein Greuel! Und wer nicht hören will, muß fühlen!
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Beim Warten vor dem alkoholfreien Brauhauskeller des hiesigen Theaters auf die natürlich wieder mal verspäteten Teilnehmer einer antirassistischen Initiative haut mich von hinten ein Schauspielhaus-Besucher aus dem Lehrerstand auf den Rücken und brüllt in indiskret-jovialer Lautstärke: „Na, Fettsack, am 1. Mai, da machen wir beide mal ordentlich Klassenkampf auffem Domshof!“Nix da, „wir beide“. Dreh Du Dein Ding mit dem langen Wochenende, ich folge der Tageslosung aus der Buchtstraße, die zum „Tanz in die Revolution“auffordert. Ganz schön militanz, die Gören...
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Und schließen wir mit der zentralen DGB-Losung: „Es geht um's Ganze“. Keine Frage, alle Tage: Maikäfer sieg!
Ulrich „Maibock“Reineking
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