■ Urdrüs wahre Kolumne: Müllmann oder Mafia
Betrogen und belogen, beschissen und getäuscht, so stehen sie jetzt da, die City-Kaufleute und müssen mit ohnmächtigem Zorn erleben, wie der Space-Park in Gröpelingen als Riesen-Einkaufszentrum mit angeschlossenem Astronauten-Fanshop auf ihre Kosten vorangetrieben wird, während die EU-Gelder ausbleiben. Wird es jetzt nicht Zeit, mal die Geheimdossiers über ladendiebische Senatoren, rabattschnorrende Wirtschaftsförderer und voyeuristische Planer rauszukramen, die mit Camcorder und/oder Polaroidkamera in der Damen-Umkleidekabine erwischt wurden?
Nachdem die gesellschaftlichen Würdenträger Bremens und ihre Journaille jetzt kollektiv beschlossen haben, den dampfenden Harnstrahl am Ex-Kumpel Ralf Borttscheller abzuschlagen, bekommt der kleine Onkel Bräsig plötzlich unerwartet Kontur: Duzfreund von mafiosen Schaustellern, die eines Mordkompletts verdächtig sind und anwaltlicher Pate, der von der eigenen Sozietät ausgegrenzt wird – wer sieht da nicht den großen Kinostoff, der dem filmischen Komödiantenstadel dieses Landes abgeht? Die aber, die jetzt so lustvoll den ersten Stein werfen, sollten nicht davon ausgehen, dass so ein Ausgegrenzter immer als Watschenmann der alten Kameraden fungiert: Irgendwann packt so einer aus und dann steht das offizielle Bremen plötzlich in Unterhosen da. Wir können warten – ischa Freimaak!
Immer teurer wird der Neubau der Uni-Mensa und über all dem Geharme und Gebarme zu dieser Entwicklung gerät die eigentlich relevante Frage in den Hintergrund: Wie sichern wir ab, dass die Mensa wieder zum sozialen Freiraum wird? Zur Wärmestube und Kantine der Mühseligen und Beladenen, zum kommunikativen Forum für Erfinder von Perpetuum Mobile und Neuer Weltordnung? Bislang ungeschrieben ist das Buch über den Anteil der Mensen am Prozess der Revolte: Bis zum Erscheinen wehren wir bitte alle Versuche ab, die Marginalisierten und Irritierten dieser Erde durch fälschungssichere Studentenausweise und Mitarbeiter-Cards auszugrenzen: Dann können uns die paar Millionen Mehrkosten für die gesellschaftliche Notfall-Ambulanz Mensa komplett am Gesäß vorbeigehen!
Um das Wohl und Wehe ihrer Kinder besorgte Eltern des mittelständischen Milieus erörtern mit den Penz in lockerer Runde ihrer ostertorschen Hausgemeinschaft Fragen der Berufswahl. Wünsche wie Schriftsteller und Schauspielerin, Kinderärztin und Architekt werden wohlwollend zur Kenntnis genommen, unangemessen belustigt reagiert man auf Pilot, Dompteur oder Rennfahrer und helle Freude kommt auf, als sich die zehnjährige Annika mit der panzerkettenbewehrten Zahnreihe ihre Karriere als Fotomodell ausmalt. Mildes Entsetzen aber in dieser sonst so vorurteilsfreien Runde, als sich Benny zum Berufswunsch „Müllmann“ bekennt: Weil man da so geile Klamotten anhat und manchmal findet man in der Mülltonne auch die dort versteckte Beute eines Bankräubers. Ob er sie denn abliefern oder behalten würde? „Behalten natürlich, ich kaufe mir dann ein Wohnmobil und nehme eine hübsche Frau und dann fahren wir um die Welt und wenn das Geld alle ist, werde ich Rentner.“ Ein Beitrag zum Thema Vorruhestand, den Walter Riester bislang mit den Tarifpartnern vermutlich nicht einmal angedacht hat – und die Investoren in ethische Kapitalanlagen mit zehn oder zwölf Prozent Rendite schon gar nicht.
Mit Freude vernimmt der ältere Mensch , dass der Bund deutscher Pfadfinder zu einem Seminar über die Ideen des Anarchismus nach Berlin lädt: Ein komplettes Weltbild für schlappe 250 Mark in nur vier Tagen, inklusive Fahrt und Vollpension – das ist es, was eine jegliche Patentante ihrem allzu wohlgeratenem Neffen für die Herbstferien schenken sollte! Weshalb hier noch einmal die Rufnummer 04746/95 10 16 zwecks weiterer Informationen genannt sei.
Die marginale kommunistische Bewegung dieser Republik wurde vor zehn Jahren mit der Neukonstituierung des Deutschen Reiches nahezu atomisiert, ohne dass vorläufig auf die Energie der Kernspaltung zu hoffen ist. Eigentlich rührend, dass dieses Tagblatt jetzt auf der Grundlage einer Publikation im Rechtsaußen-Verlag Ullstein die Kommunistenhatz auf Prof. Gerhard Stuby eröffnet und ihn dabei auch noch en passant zum Stasi-Mitarbeiter macht. Dabei habe ich den auf Betriebsausflügen meiner MfS-Abteilung nie getroffen. Erinnert sich genau
Ulrich „IM Leckmich“ Reineking
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