■ Urdrüs wahre Kolumne: Bestechende Cornflakes
Zwei neue Karohemden bereichern meinen Kleidersack. Dank des C&A-Rabatts von 20 Prozent: Lieber noch hätte ich diese Wohltat in der ehemaligen Kaufhalle am Brill entgegengenommen, denn dort wurde genau jene Herrenmode auf die Grabbeltische gelegt, die zum unverzichtbaren Outfit des Beutezug-Flaneurs mit Plastiktüte und speckigem Pepitahut gehört. Im allgemeinen rettet uns Alltagsbummler diese Aufmachung auch vor den Attacken gepflegt gekleideter junger Quackel-Ärsche, die den Rest der Bevölkerung an Bahnhöfen und in Fußgängerzonen mit der American-Express-Card („kostenlos testen!“) in die verschärfte Schuldsklaverei treiben wollen – doch obwohl ich gestern die vor diesen Vampiren des Konsumerismus schützenden Bekleidungsvorschriften exakt eingehalten hatte, charmiert mich plötzlich eine ziemlich teuer wirkende Dame vom Typus BWL-Studentin im 9. Semester mit Nebentätigkeit als Messe-Hos-tess: „Na, soll ich Ihnen helfen, Ihre guten Vorsätze für das neue Jahr zu verwirklichen?“
Meine Vorsätze? Was weiß dieses gestylte Frettchen davon, dass ich anno 2002 den entscheidenden Schlag gegen das Schweinesystem führen und obendrein auch noch den Gang zum Zahnarzt wagen möchte? „Na sehnse...“, deutet sie mein zögerliches Nachdenken wohl als angestrengtes Interesse. „Wir machen es Ihnen ganz einfach, eine exclusive Kreditkarte mit vielen Zusatzfunktionen kennenzulernen – und das ko - sten-los, Sie entscheiden dann selbst, wann Sie canceln wollen ...“ Und als ich dann frage, was mir das bringen würde, schaut sie mir aus getönter Designerbrille lange und bedeutungsvoll in die Augen und flötet mit durch und durch erotisierendem Swing: „Wenn Sie den Antrag unterschreiben, machen Sie mich ganz ganz glücklich“. Okay. Prostitution hat inzwischen ja Anerkennung als Beruf gefunden, aber muss verbaler Sex auf offener Straße nun wirklich gleich so durch und durch versaut sein? Kann doch sein, dass Kinder zuhören!
Donnerwetter noch eins! Bremens unverwüstlicher Gesellschaftschronist Martin Globisch hat es geschafft, seinen Chefredakteur Ronald Famulla aus Weserreport-Zeiten zum kolumnisierenden Grußaugust in seinem eigenen Magazin „Roland“ zu machen: Das ziert in der Tat noch mehr als die im Impressum ausgewiesene Mitarbeit des volkstümlichen Wirtschaftsweisen Rudolf Hickel. Sogar der Pelzmantel-Freak, Singspiel-Veranstalter und Medien-Padrino Klaus Peter Schulenberg hat zum neuen Roland einen Beitrag beisteuern müssen, in Form einer Gegendarstellung, deren satirischer Gehalt allerdings nur durch den jahreszeitlich einigermaßen verfehlten Datums-Hinweis auf den 1.April deutlich wird. Wacht auf, Ronald und Martin, als Verdammte dieser Erde, und packt aus über KPS, geschäftlich und privat. Kann sein, dass Ihr das nicht übersteht angesichts der Strukturen dieser Stadt, aber reine Luft über Bremen sollte uns doch schon etwas persönlichen Einsatz wert sein... Im übrigen sichert Euch das einen Platz im universellen Himmelbett!
Ach wie tief bedauert selbst Kuno Böse, dass er keinerlei rechtlichen Spielraum bei der Abschiebung so genannter falscher Libanesen hat! Ob der Herr Innensenator jetzt wenigstens bereit ist, eine stattliche Spende für die Flüchtlingsinitiativen und Menschenrechtsgruppen zu machen, die mit der Sesshaftigkeit einiger hundert anständiger BremerInnen die ersten Deportationen trotz Eiseskälte durch eine Blockade verhinderten? Zumindest ein Bottich Glühwein für die demnächst fälligen Aktionen sollte doch schon mal drin sein, denn: Ist warm das Gewissen / freut sich der Mensch!
Die treue taz-Leserin, Juristin, Sternendeuterin, Lebensschützerin und Aidshilfe-Aktivistin Karin Stieringer wurde jetzt im wohlwollenden Beisein von Jens Eckhoff, Henning Scherf, Bernd E. Neumann, Ralf Borttscheller, UrDrü und anderen Bremerinnen im Rathaus mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet und anschließend durch ein großes Butterkuchen-Wettessen geehrt. Ich erlaube mir, diesem Zeremoniell demnächst durch Umhängen eines Lebkuchenherzens seinen wahrhaft krönenden Abschluss zu geben und würde mich freuen, wenn die Redaktion dieses Blattes die „witte Fruu“ aus Schwachhausen für ein wöchentliches Horoskop gewönne: SOLCHE Sterne lügen nicht!
Hartnäckig hält der Senat an der fixen Idee fest, Bremen nach den vergangenen und künftigen Pleiten, Pech und Pannen um Space Park, Oceanpark, Mjusical und Vulkan auch noch zur Olympiastadt zu machen: Allein die erforderlichen Beste-chungsgelder für die IOC-Bonzen aber würden das Stadtsäckel restlos überfordern, denn mit ein paar Tafeln Schokolade von Hachez, der Kellogs-Familienpackung und der Kiste Bier von Interbrew lässt sich kein Sportfunktionär der Welt für dieses Kamikaze-Abenteuer gewinnen. Vielleicht tut es ja auch die Ausrichtung der Deutschen Alternativ-Fußballmeisterschaften, das Welt-Championat in Tischfußball oder der Verbandstag des Deutschen Brauerbundes mit den ersten Bierkulturfestspielen der Neuzeit. Genügend heimisches Personal mit echten Siegerchancen wäre dafür jedenfalls vorhanden...
Wann immer mich mein Weg in Bahnhofsnähe führt, beobachte ich vor dem Sexshop der inzwischen verstorbenen Reichs-Jagdfliegerin Beate Uhse einen Pulk fröhlich kichernder Bremen-BesucherInnen aus dem Teufelsmoor, dem Ammerland oder von der Wildeshauser Geest. Stadtmusikanten, Böttcherstraße und Schnoor haben sie hinter sich gelassen und der Besuch im Waldau-Theater oder bei „Godewind“ in der Glocke liegt noch vor ihnen, und für die Zwischenzeit bieten Plastikpimmel, Handschellen, Flutsch-Cremes und Schlüpfer mit Loch im Schritt genügend Stoff zur Unterhaltung. Was wollen die hiesigen Tourismuswerber ihrer Landkundschaft künftig als Alternative bieten, wenn sich SPD-Unterbezirksvorsitzender Wolfgang Grotheer mit seiner Mackenstedter Schnapsidee durchsetzt, den Bahnhofsvorplatz künftig frei von solchen Angeboten zu halten? Merke: Mit solchen Grotheers ist vielleicht ein Staat, aber bestimmt keine lebendige Stadt mit den dazugehörigen Verrücktheiten und Absurditäten zu machen! Weiß ganz sicher
Ulrich „thats life“ Reineking
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