■ Urdrüs wahre Kolumne: Irgendwo ist ja immer was
Flaggen auf Halbmast am Mittwoch an den öffentlichen Gebäuden und obwohl ich dem Weserkurier entnommen habe, dass dies zu Ehren des verstorbenen Ex-Ministers Richard Stücklen geschah, frage ich einen Passanten nach den Gründen für die Trauer-Deko. Ziemlich barsche Antwort: „Wahrscheinlich wegen Israel oder diesem Holländer, vielleicht auch wegen Streik. Irgendwo ist ja immer was ...“
Dass Bildung einen höheren Stellenwert haben muss, betont seit Pisa nicht nur Lehrer Heise. Handelskammer-Präses Dirk Plump aber und die Senatoren Willi Lemke und Josef Hattig fordern jetzt gar in gemeinsamer Erklärung einen höheren Stellenwert ausdrückluch für die ökonomische Bildung und verstehen darunter keineswegs eine Einführung in Lohnarbeit und Kapital oder andere Klassiker für Grundschüler, sondern das Eintrichtern von affirmativen Afterweisheiten über Geld und Börse und andere Schweinereien. Hattigs Solo-Einlage im Konzert dieser drei Stadtmusikanten: „Bildung kommt von Bilanz.“ Irgendwie ekelhaft. Aber so hättenses gern.
Für ein Fiasko halten es die kleinen Trinker vom Kreisverband der Jungen Union, dass die Kneipen an der Schlachte auch künftig nach Mitternacht keinen Schnaps draußen vor der Tür verkaufen dürfen. Und weil das für die kessen Schnösel schon seit drei Jahren Dauerthema ist, mutmaßt ihr Vorsitzender Christian Conreder: „Scheinbar liegen die Verantwortlichen in einem Dornröschenschlaf.“ Wir halten diesem windschiefen Bild entgegen, dass andere Penner auch keine Bedienungen belästigen und zu Überstunden zwingen, wenn sie nachts noch was an der Weser trinken wollen; wozu gibt's denn roten Landwein im Tetrapack?
„Könnse mir das eben mal vorlesen, ich habe meine Brille nicht dabei ...“, bittet mich eine ältere Dame im Sonderpostenmarkt und tippt mit ihren Fingern auf das rückseitige Etikett einer Duftoelflasche Orange. Einigermaßen entgeistert lese ich dort die Botschaft: „Verbreitet einen magischen Atmosfer von swingender Erotik und sexueller Inspiration mit Romantik in Sekunden über die Tonschale für Sie und anderen Partner in Bettspielen.“ Verschreckt eilt die Dame davon. Ob sie in mir einen anzüglichen Sittenstrolch vermutet, der die Gunst des Augenblicks anmacherisch zu nutzen trachtet?
Das ganz große Glück fand ein Traumpaar aus dem B-Team des Deutschen Schlagers vor geraumer Zeit im Zug nach Osnabrück. Ich aber fand es jetzt im ICE nach Berlin, wo mir ein junger Mann im Bistro-Abteil erklärte, dass er ganz ganz glücklich sei, neben mir zu sitzen, weil: irgendjemand müsse er es einfach sagen. Er habe soeben per Handy die Bestätigung seines Ausbildungsplatzes als Fachmann für System-Gastronomie bekommen, und er schilderte mir nicht nur seine Zukunft als potenzieller Manager einer Hamburger-Kette, sondern entwickelte eine Art Metropolen-Religion im Zeichen von Fast Food. Er tat dies als ein Bruder Feuer unserer Zeit mit derart leuchtenden Augen, dass ich sofort begriff, warum der ewig junge Jens Eckhoff so für den Mc Drive beim Weserstadion eintritt. Der Big Mac als urbane Vision eines ökologischen Kreislaufs von Fressen, Kacken, Kotzen, Autofahren in universeller Parallelität zu Millionen Menschen in aller Welt. Eine globale Utopie, ganz sicher, but all business is local. Und so erkenne ich in diesem Einsatz nicht die womöglich mit Spielfiguren aus der Juniortüte bezahlte Infamie eines Hardcore-Lobbyisten, sondern ein „Seid umschlungen, Millionen/diesen Klops der ganzen Welt.“ Schön, wie Bahnreisen auch zur Herzensbildung jener beitragen kann, die sonst hinter jedem ehrlichen Engagement nur den Pferdefuß suchen ... bekennt selbstkritisch Ulrich „Bratwurst“ Reineking
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