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■ UrDrüs wahre KolumneHölle-Hölle-Lenin-Ü-Ei-Hoffnung

Es war der Schlagersänger Wolfgang „Hölle, Hölle“ Petry, der den alten Hippie-Brauch wiederbelebt hat, die Menschheit durch Freundschaftsbänder aus Wollfäden zu verbinden: Kaum ein Träger karierter Flanellhemden und eigentlich kein Mädel mit schwarzledriger Caprihose, das nicht mit solch Gebämsel am Handgelenk in Kneipen wie Puparsch oder Pflaumenbaum zum Wochenend-Baggern aufläuft. Ähnliche Seelenverwandtschaften dokumentierten sich im Müsli-Milieu über Jahre durch die Vergabe von Kombucha-Pilzen: rohköstliche Gesundheitsvorsorge als philantroper Kettenbrief. Diese nichtkommerzielle Ausdrucksform der Heileheile-Gänschen-Szene ist jetzt ebenso wie bereits das Massageöl und die Salzkristall-Leuchte vom Big Business gefressen worden: Ab sofort gibt es Kombucha-Joghurt unter dem Slogan „Das Geheimnius Asiens“ auch im Kühlregal bei Aldi. Welches Mysterium bleibt ihm da noch, dem kleinen Yogi aus der Nachbarschaft und seiner Joghurt-Frühstücksgefährtin? An dem Tag, da es den großen Lenin als Plastikminiatur im Überraschungsei gibt, werde ich meine gesellschaftlichen Grundpositionen ernsthaft überdenken!

Die Buten & Binnen-Redaktion von Radio Bremen sucht derzeit dringend Jahrtausend-Propheten, die ihre Vision 2000 vor der Kamera preisgeben: Gäbe es die Möglichkeit, ihnen vorher ein Wahrheitsserum in den Kaffee zu schütten, würde ich dazu gern die planerischen Vorturner für Bürgerweide und Hafenreviere antreten lassen – auf die Gefahr hin, dass diese Stadt anschließend von allen Wohlmeinenden auf immer verlassen wird.

In der Hamburger „Ritze“ auf St. Pauli hängen jeden Abend die kleinen Strolche aus dem Flachland rum, um zwischen Flaschbier, schrägen Mädels und Hackepeter-Brötchen den großen Jungs beim Box-Sparring zuzuschauen, bevor sie hinterher in der diskreten Peepshow-Kabine ein Ventil für aufgestaute Männerträume suchen. Aus diesem Milieu der Deklassierten kommt jetzt für den 20. November unter der Flagge eines Verbandes Deutscher Profi-Faustkämpfer das Projekt einer Berufsbox-Veranstaltung mit Vergabe von Meistertiteln ins „Pier 2“ nach Gröpelingen: Sollte der vor fünf Jahren bereits in der Stadthalle als Boxer angekündigte und dann gesundheitlich verhinderte Promoter und Verbandspräsident Michael Ramm als Titelanwärter im Superschwergewicht für ein Tänzchen zur Verfügung stehen, bin ich nach Klärung der Gagenfrage (Vorkasse)bereit, bereits am Tag vor der Veranstaltung das Training im Fitness Forum von August Smisl aufzunehmen. Honorar und Siegprämie möchte ich dann, dem Beispiel von Schauspielkollegen Henning Scherf aus Soap Opera-Dreharbeiten folgend, einem guten Zweck zur Verfügung stellen: Etwa der hanseatischen Makakken-Befreiungsfront für ihren gerechten Kampf gegen den universitären Affenschinder Andy Kreiter.

Schön, dass sich auch die Bremer Grünen jetzt in couragierter Form dagegen verwehren, pure british beef zu vertreiben, solange der Rinderwahnsinn in der Roulade schlummert. Wie aber, wenn Tony Blair jetzt mit seinem Modernisierungsgenossen Schröder ein BSE-Manifest proklamiert und das Bekenntnis zum Wahnsinn Teil der Koalitionsdisziplin wird? Dann heißt es wieder Kröten schlucken, aber keine Bange: Amphibien sind unbelastet!

Beim Weltspartag liefern die süßen Kleinen vertrauensvoll ihre Geldbüchsen bei den Häusern des Mammons ab und werden für dieses kindische Vertrauen von den Herren des Zinsfußes mit Jojos, Buntstiften oder strunzdummen Malbüchern belohnt. Ein erfreulich skeptisches Mädel von vielleicht sieben Jahren aber beginnt, nach der Transaktion in der Schalterhalle, lautstark zu protestieren: „Mein ganzes Geld ist weg! Die haben das einfach geklaut ...“ Die begleitende Oma gibt ihr natürlich sogleich den bürgerlich-pädagogischen Einblick in die Usancen des Geschäfts mit Geld und Zinsen. Verweist auf den Eintrag im Sparbuch und als auch das nichts fruchtet, erinnert sie an das Jojo, das sie ja immerhin bekommen hätte. Damit aber lässt sich Klein Tanja erst recht nicht beruhigen: „Im Spielzeuggeschäft hätte ich viel mehr bekommen und auch was viel viel besseres!“ Wenn jetzt noch ein kindgerechter Grundkurs in der wissenschaftlichen Weltanschauung des Marxismus folgt, könnte diese Vertreterin der jungen Generation zu schönsten Hoffnungen berechtigen!

Freut sich heute schon Ulrich „Knock Out“ Reineking

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