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■ UrDrüs wahre KolumneGott auf die EXPO!

Eben noch habe ich mich an der wunderschönen Jahreslosung geweidet, die das Theater am Goetheplatz den Bremern with a little help from Karl Valentin per Spruchband gewidmet hat: „Die Zukunft war früher auch besser“, da ist schon der Altenwall erreicht. Links kein Auto, rechts kein Trecker – und so wird die Straße trotz des roten Ampellichts überquert, soviel ziviler Ungehorsam muss sein, zwei Steinwürfe vom hiesigen Polizeipräsidium entfernt. Auf der anderen Seite aber keift mich eine grobwollige Dame mit tief vermummeltem Kleinkind im original Didymos-Tragetuch an, daß sie dies ja nun gaaanz unmöglich fände – weil das wäre ja nun ein gaanz schlechtes Beispiel für Kinder ... Verkehrserziehung mit drei oder vier Monaten durch das perfekte Muttertier: Da wünschen wir prost Mahlzeit und allzeit ein gesegnetes Bäuerchen!

Neidvoll schaut der kalorienreduzierte Flaneur auf die glücklichen Menschen, die sich ohne Rücksicht auf die verletzten Gefühle anderer am Bratwurststand auf dem Domshof einige Zipfel totes Tier im Naturdarm einverleiben, mit Senf, Ketchup oder garnix. Doch bevor ich angesichts solcher Zumutungen („Zurschaun konn i net/Zurschaun mog i net“) wie der Zahlkellner Leopold aus dem Weissen Rössl am Wolfgangssee am Leben verzweifle, fällt der Blick auf die Lektüre eines besonders engagierten Fressers: „Königswege zum unternehmerischen Erfolg“. Wer sich mit solchem Pipifax noch beim Mampfen beschäftigen muss, ist schon ein ganz ganz armes Würstel!

Apropos Wolfgangsee: Ist dem verehrten Lesepublikum eigentlich schon aufgestoßen, wie selbstverständlich in den letzten Tagen die Berufsbezeichnung „Waffenhändler“ geworden ist? Das Wörterl kommt so unschuldig-routiniert daher wie Brezelbäcker oder Stenokontoristin und meint doch im Grunde das Abscheulichste, wozu Menschen fähig sind: Anderen ans Leben zu gehen nur wegen dem bisschen Bimbes. Für Landschaftspfleger wie Schreiber und die Empfänger seiner Koffer würde man sich schon mal ein Revival in Sachen Metropolen-Guerilla wünschen – ein bißchen Angst um das eigene Leben in seiner ganzen Erbärmlichkeit wäre zumindest ein kleiner Beitrag für Gerechtigkeit.

Ach herzegutes Schicksal! Beim Bremer Bibelmarathon im Dom (beim nächstenmal will ich dabei sein und was aus dem Buch der Psalmen vortragen!) traf doch nach Informationen des Evangelischen Pressedienstes tatsächlich eine Frau nach vielen vielen Jahren in einem der Vorleser ihre erste große Liebe wieder. Braucht es noch einen Beweis mehr, dass der analphabetische Atheismus unserer Zeit mit seiner geistigen Reduktionsdiät prinzipiell eine sehr sehr ungeile Sache ist???

Mit dem schönen Lied von der Biene Maja und dem noch schöneren von Babitschka hat sich Karel Gott um die Gefühligkeit dieser Welt mindestens so verdient gemacht wie Mozart mit seinem Requiem und Rainer Maria Rilke mit dem Panther-Gedicht. Eine solche Persönlichkeit durch hochfahrend-arrogante Denunziation vom Auftritt auf der EXPO als offizieller Botschafter des großen tschechischen Volkes abzuhalten, das hätte den Schwejk Josef mindestens so empört wie mich. Und fordere ich im Namen des lauteren Schlager-Wesens: „Gott auf die EXPO!“ Wie sonst soll die Reise um die ganze Welt/mit den Taschen voller Geld auch für den kleinen Mann/die dicke Frau gelingen? Und natürlich muss das pralle Leben mit Sockenverkäufern, Bettelmännern, Glühweinfrauen und sonstigem Tamtam auf dem Marktplatz bleiben: Eine Innenbehörde, die per Richtlinie „gute Stube“ machen will, beendet nicht den Kommerz, sondern das Leben selbst in der Stadt. Darum: mehr Müll! mehr Rummel! mehr Besoffene, Durchgeknallte und Verwahrloste und natürlich auch Märchenprinzessinnen im öffentlichen Raum. Alles andere ist Lichterdom – Onkel Speer lässt grüßen!

Meint ziemlich im Ernst

Ulrich „Antifa“ Reineking

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