■ UrDrüs wahre Kolumne: Ostereierterrorismusautonomie
Auch in dieser Woche wieder ein aktueller Grund, die EXPO zu meiden: In Hannover wollen sich evangelische und katholische Kirche gemeinsam in einem Christus-Pavillon präsentieren, der ab sofort schon virtuell begehbar ist. Unter www.expo-kirche.de bietet das klerikale Modernistenvolk verehrten Internet-Usern die Möglichkeit an, Kerzen am Online-Altar per Maus-klick zu entzünden. Merke: „Wer dem Publikum hinterherrennt, bekommt immer nur den Arsch zu sehen“ (Max Reinhardt). Zur Strafe wird der Heilige Geist den Börsengang von T-Online ganz böse enden lassen!
Selbst Angehöriger einer Generation, die mit dem öffentlichen Gebrauch des heute so inflationär degradierten Wörtchens „geil“ noch ganze Lehrer-Hundertschaften zu Klassenkonferenzen mit dem Ziel des Schulverweises motivieren konnte, durchzuckt es mich als unfreiwilliger Ohrenzeuge schon etwas, wenn eine Fünfzehnjährige gegenüber ihrer Lehrerin eine Mitschülerin als fiese Fotze bezeichnet. Noch mehr irritiert es mich allerdings, als die Lämpeltante nun im interessiert-beiläufigen Plauderton nachfragt, warum sich das Mädel denn so über die Klassenkameradin aufrege und nunmehr als Antwort kommt: „Die blöde Schlampe schreibt bei Tests und Klassenarbeiten immer alles ab. Das verzerrt doch das Leistungsbild, find ich total ungerecht“. Welch elendes Denunziantenpack macht sich da auf den Ellbogenkurs durchs Leben? Und wer behauptet da immer noch, zum Tierversuch in der Pharmaforschung gäbe es keine Alternative?
Als Osterterrorismus bezeichnet diese Zeitung beiläufig das liebenswerte Ritual mancher Kaufhaus-Bummler, Schokoladenfiguren einzudrücken. Mir fehlt bei dieser Einschätzung ein klarer Klassenstandpunkt, ist doch diese individuelle Aktionsform eine mächtige und dennoch allgegenwärtige Waffe in der Hand der Beschäftigten des Handels und der Kunden, sich gegen Lohndiktat und Preistreiberei, überzogene Arbeitszeiten und Rationalisierungsdruck zu wehren – nicht immer zielgerichtet, aber doch hilfreich bei Frustabbau. Wer je erleben durfte, wie sich ein goldiges Lindt-Häschen mit Glocke aus einer überteuren Form der ästhetischen Erhöhung durch einen einzigen energischen Zugriff auf seinen reinen Nährwert reduziert, der weiss um das erhebende Gefühl wiedergewonnener Autonomie. Der Triumph des Einzelnen im Kampf gegen Warenstruktur und zerstörte Zwischenmenschlichkeit: Und am Ende kann sich auch die Kleinstrentnerin mal so richtig exquisite Trüffelprodukte mit geschmacksneutraler Anmatschung vom Grabbeltisch leisten ...
Im Fall der sogenannten kurdischen Asylbetrüger nimmt sich die Bremer Innenbehörde ein keineswegs gesetzlich verankertes Recht zum Türkenbauen heraus – wer die Struktur solcher Apparate kennt, wird sich darüber kaum wundern, schließlich hat Papa Staat immer noch souverän darüber entschieden, wer Jude ist oder nicht. Wenn aber nun der Unions-Bullizist Rolf Herderhorst von unserem guten Werder-Willi verlangt, die Verteilung von Flugblättern gegen die von oben betriebene Volksverhetzung „künftig zu unterbinden“, dann muss er bitteschön zur Kenntnis nehmen, dass seine Omnipotenz-Wünsche ihren ganz unrühmlichen Abgang finden und voll in die Hose gehen: Wie fühlt man sich denn so, wenn auch das Deo noch komplett versagt?
Im ICE-Speisewagen sitzt mir bei einer Suppe, die mit dem Eigenschaftswort „mecklenburgisch“ versehen geeignet ist, ein ganzes neues Bundesland in der allgemeinen Achtung herabzusetzen, sitzt mir also beim Löffeln dieser fragwürdigen Speise eine Dame in flammend-roter Bluse gegenüber, die durch ihr bestimmt nicht von Fielmann stammendes Nobel-Brillenunikat in eine Broschüre mit dem bemerkenswerten Titel „Vastu, Liebe und die Energie des Geldes“ schaut. Offenbar bemerkt sie, dass ich mir den penetranten Titel auf einem meiner allgegenwärtigen Merkzettel notiere, blickt mich mit bösen, kalten und zombiehaft umschminkten Augen an und konstatiert: „Das ist für Sie sowieso nichts, das merke ich sofort!“. Für dieses Kompliment hätte sie jedem aufkommenden Ekelgefühl zum Trotz knutschen können... Dein/Ihr
Ulrich „Swami“Reineking
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