■ UrDrüs wahre Kolumne: Herzschlag der Sieger
Wie schön für uns AnhängerInnen des A mit dem Kreis drumrum, dass der Staat als das bekannte Unwesen uns nie so ganz in Stich lässt. Die Verdoppelung der Miete für das Sielwallhaus und die Ankündigung der Streichung von Jugendclubgeldern: Das ist der Stoff, aus dem künftige Revolten gemacht werden. Man danke den jungen und alten Säcken in der Finanzverwaltung mit Marx- und Engelszungen, dass sie neuen Generationen immer wieder den Lehrstoff zur Verfügung stellen für den ganz persönlichen Lernprozess an der Hochschule des Lebens und Überlebens. Und der Jugendsenatorin Hilde Adolf verleihe ich heute schon mal, vorbehaltlich der Zustimmung des Ältestenrates, die schwarz-rote Emma Goldmann-Plakette der Gesellschaft zur Theatralisierung des Alltagslebens durch begrenzte Konflikte. Den dazugehörigen Mercedes-Stern als Anhänger darf sie sich selbst beim nächsten Daimler abpflücken. Aber Vorsicht: Der Dienstwagen gildet nicht!
Dass der original Berliner für Schnauze mit Herz steht, behaupten nur jene blinden Romantiker, die noch nie auf hauptstädtischen Amtsstuben mit den landesüblichen Kuno Böse-Lookalikes zu tun hatte, die dort übellaunig Schicksal spielen. Insofern kann es nicht trösten, dass der designierte Bremer Innensensator Kuno B. als eifernder Verfolger in Sachen „Scheinlibanesen“ jetzt vom Verwaltungsgericht einen juristischen Tritt in die Familienplanung bekam: Selbst wenn der kleine Joseph und seine Familie dem Hä-scher des Herodes Böse entfliehen und dieser am Ende die Konsequenzen zieht, kann der Klon-Pool Berlin solche Typen nachliefern wie Sand am Meer. Werden ja wohl bald einige hundert von diesen nickeligen Hausmeister-Naturen freigestellt in Spree-Athen.
Gelegentlich muss ich mich in Begleitung entsprechend veranlagter Freunde als ratloser Begleiter in irgendeinem Baumarkt durchkämpfen. Und stelle dann erschüttert fest, dass es Regionen mitten in Deutschland gibt, deren Sprache, Sitten und Gebräuche ich nicht mal im Ansatz verstehen kann Das Einzige, was ich weit und breit in diesen Regalen mit Werkzeugen und Teilen zuversichtlich von seiner Funktion her einschätzen kann, sind die unterschiedlichen Keramikschüsseln in der Sanitärabteilung, und wie ich gerade dort nach letzter Sicherheit suchen will, kreuzt ein Herr im bullerigen Overall meinen Weg und fragt: „Sachma, Meista, wo findichn hier die Lüsterklemmen.“ Lüsterklemmen. Auch so ein Wort, das ich in der Welt außerhalb des Baumarkts eher im Bereich Korsett-Friedel angesiedelt hätte oder von mir aus auch mit Uschi Glas oder Uschi Nerke in Verbindung bringen würde. Lüsterklemmen? Lüsterklemmen? „Ach, da sindse ja, danke Meista!“ Dafür nicht ...
Bremerhaven, wir haben es gerade wieder erfahren, lebt vom und mit dem Fisch. Und es liegt gewiss nicht an der Makrele oder am See-Aal, dass auch Fish-Town vom Aussterben bedroht ist. Ausgerechnet in einer eher volkstümlichen Kneipe an der dortigen Hafenstraße lese ich aus einem Prospekt des allen Gerüchten zum Trotz durchaus vorhandenen Buchhandels dieser Stadt den Hinweis auf ein neues Buch der christdemokratischen Herrenreiterin Gertrud Höhler mit dem Titel „Herzschlag der Sieger“. Zitat: „Zu lange schon schlagen Managerherzen mit der kalten Präzision eines High-Tech-Uhrwerks. Sie überhören dabei den Puls ihrer Mitarbeiter und den Herzschlag der Kunden, welcher den Markt bestimmt.“ EMOTIONALE MAGERSUCHT lautet die Diagnose von Gertrud Höhler für die Macher unserer Zeit. Sie entwickelt Trainingsprogramme für die emotionale Brillanz gegenüber Kunden und Kollegen. Den Kampf gegen die emotionale Magersucht in dieser Welt aufnehmen – kann das eine Sache von mehrwertsteuerpflichtigen Workshops sein? Und führt der Erfolg solcher Bemühungen nicht unweigerlich zur Berufsuntauglichkeit im Führungspersonal? Fragt in den grauen Alltag hinein ziemlich fett emotionalisiert
Ulrich „Zwoter Juni“ Reineking
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen