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Unwort des Jahres 2010Kaum Alternativen zu "alternativlos"

Keine Alternative zu haben heißt im Klartext, dass eine Entscheidung auch nicht diskutiert werden muss. Das ist frustrierend und macht "alternativlos" zum Unwort des Jahres.

Alternativlos war die Begründung für viele Vorhaben in der Poltik des vergangenen Jahres. Bild: dpa

FRANKFURT/MAIN dpa/dapd | Das Adjektiv "alternativlos" wurde am Dienstag zum Unwort des Jahres 2010 gekürt. Eine sechsköpfige Jury unter Leitung des Germanisten Horst Dieter Schlosser gab die Entscheidung bekannt. Und woher stammt dieser sperrige Begriff? Natürlich aus der Politik.

Kanzlerin Angela Merkel sah den Entschluss zur Griechenlandhilfe zur Rettung und Stabilisierung des Euros als "alternativlos" an. "Das Wort suggeriert sachlich unangemessen, dass es bei einem Entscheidungsprozess von vornherein keine Alternative gebe und damit auch keine Notwendigkeit der Diskussion und Argumentation", erklärte Schlosser.

Dass die Alternative fehlte, war im letzten Jahr häufiger zu hören. Nicht nur Merkel, auch auch andere Politiker benutzen das Unwort, um ein Vorhaben zu begründen, so in Bezug auf "Stuttgart 21" oder die Gesundheitsreform. Ein solches Wort drohe die Politikverdrossenheit der Bürger noch zu verstärken, warnte Schlosser. Unter den 1.123 Einsendungen war "alternativlos" das meistgenannte. Die Jury betonte aber ausdrücklich, dass sie sich inhaltlich und nicht nach der Zahl der Einsendungen entschieden habe.

Gerügt wurden außerdem zwei weitere Begriffe: "Integrationsverweigerer, das Bundesinnenminister Thomas de Maiziére (CDU) zwar nicht erfunden, aber in Umlauf gebracht habe, unterstelle, dass Migranten in größerem Umfang selbst ihre Integration verweigerten. Dass dafür die notwendige Datenbasis fehle und der Staat selbst zu wenig für Integration tue, werde ausgeblendet, kritisierte die Jury.

Außerdem stand die Formulierung "Geschwätz des Augenblicks" unter Beschuss, mit der der Dekan des Kardinalskollegiums, Angelo Sodano, bei der Ostermesse des Papstes 2010 die massiven Vorwürfe sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirche beiseite schieben wollte.

Das Unwort des Jahres wird seit 1991 von einer unabhängigen Jury ausgewählt. Gesucht werden sprachliche Missbegriffe in der öffentlichen Kommunikation, die sachlich grob unangemessen sind und möglicherweise sogar die Menschenwürde verletzen. Die nur 1.123 Einsendungen für das Jahr 2010 waren die geringsten seit 20 Jahren.

Zum selben Zeitpunkt wählten heute Makler und Wertpapierhändler an der Börse in Düsseldorf zum zehnten Mal das Börsen-Unwort des Jahres. Für 2010 kürten sie den "Euro-Rettungsschirm".

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6 Kommentare

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  • GF
    Gerda Fürch

    Zur "psychotischen Störung":

     

    In der Verhaltenstherapie gibt es das bekannte grobe Dreieck: Gedanken - Handlung - Gefühle! Oder: denken - handeln - fühlen. (Das Dreieck kann ich hier nicht zeichnen) Je nach Anwendung kommt entweder im Menschen ein sogenanntes gutes Gefühl heraus(Zufriedenheit, "richtige Richtung", "Weiter so!", "Wir sind wieder wer", also Optimismus, Zuversicht, Tatkraft etc. etc.) oder auch ein sogenanntes schlechtes Gefühl heraus (Resignation, Depression, Verzweiflung, "Wir schaffen das nicht", "Es ändert sich soundso nichts", "Alles bleibt wie es ist", "Das war schon immer so", also Entmutigung, Demut, Passivität, Hinnahme der Situation etc. etc.

     

    Natürlich in Abstufungen, mal mehr oder mal weniger mal mittelmäßig ausgeprägt.

     

    Jetzt sind eben mal die "anderen" dran, die Guten gemäß "Eine andere Welt ist möglich" anstelle der Bösen ("Achse des Bösen" usw.) gemäß "Gefahr für den Internationalen Wettbewerb", "Gefahr für Großprojekte" und nutzen die hoch gekommene positive Stimmung für Alternativen und eine neue Soziale Bewegung sowie eine neue Ökologische und Ökonomische Bewegung. Gemäß des groben Dreiecks aus der Verhaltenstherapie.

     

    Das ist sehr möglich.

  • N
    Nordwind

    Wahrlich schön. Denn wer von Alternativlosigkeit faselt ist entweder zu dusselig über Alternativen nachzudenken oder verfolgt bestimmte Interessen.

     

    Noch wichtiger ist jedoch, dass das TINA-Prinzip (there is no alternative) zum Werkzeugkasten der PR-Strategen gehört.

     

    Somit kann die Wahl des Unwortes des Jahres auch als Tritt in die Weichteile von INSM, Bertelsmann-Stiftung u.a. Manipulatoren gewertet werden.

  • H
    hto

    Bildung umbenennen in Imprägnierung, denn dieses häufigst benutzte Wort suggeriert der alternativlose Schutz vor Lügen und Betrügen zu sein, in der Welt- und "Werteordnung" des "gesunden" Konkurrenzdenkens im "freiheitlichen" Wettbewerb um die Begehrlich- und Abhängigkeiten der Hierarchie in materialistischer "Absicherung" von "Wer soll das bezahlen?" - dümmer gehts nimmer!?

  • A
    atypixx

    Na ja, Schröder hat die Hartz-Gesetze seinerzeit auch als alternativlos bezeichnet. Neu ist das Phänomen nicht, die Politik zum Sachverwalter ohne Handlungsspielraum zu degradieren. Blöde nur, sich dann über Wahlmüdigkeit und Politikverdrossenheit beim Volk zu wundern.

  • S
    Simon

    Wie wäre es den beim nächsten Mal mit " vor Ort",

    dieser modernistische wie grammatikalisch falsche

    Ausdruck sollte verschwinden. Siehe auch Tagesspiegel

    1994/95 am Rande bemerkt von Matthes.

  • B
    broxx

    Integrationsverweigerung ist kein Unwort sondern Realität. Und selbstverständlich sind damit nicht alle hier lebenden Ausländer gemeint. Und ja, sie sprechen fast immer arabisch oder türkisch.