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Unversöhnliche Debatte zur Vergangenheit

■ SPD fordert in der Volkskammer gegebenenfalls Verbot der PDS, falls sich in dieser Partei kommunistische Tendenzen wieder durchsetzen sollten / PDS wirft den Sozialdemokraten Haß vor

Berlin (ap) - Die Rehabilitierung aller Personen, die im Widerspruch zu den in der DDR-Verfassung garantierten Grundrechten unter dem SED-Regime strafrechtlich verfolgt und diskriminiert wurden, ist in der Volkskammer am Freitag in einer teilweise lebhaften Session beraten worden.

Bei der Debatte über den Regierungsentwurf für diese Rehabilitierungsgesetz, mit dem altes SED-Unrecht in der DDR getilgt werden soll, und das politisch-moralische Genugtuung für die Betroffenen und finanzielle Wiedergutmachung beinhaltet, kam es zu einem handfesten Streit im Parlament. Der Begründung des Gesetzentwurfes folgte eine scharfe Diskussion vor allem zwischen SPD und der SED -Nachfolgepartei PDS. Während der Ausführungen des PDS -Parlamentariers Michael Schumann verließen Abgeordnete aller Fraktionen den Plenarsaal.

Schumann warf seinem Vorredner Gunter Weißgerber von der SPD vor, aus dessen Vortrag habe Haß gesprochen. Weißgerber hatte sich unter anderem für ein Verbot der PDS ausgesprochen, falls sich in dieser Partei die kommunistischen Tendenzen wieder durchsetzen sollten. Unter Kommunisten fänden sich Demokraten in Internierungslagern wieder, unter Demokraten könnten Kommunisten dagegen „gegebenenfalls sogar im Parlament“ sitzen. Weißgerber forderte, den Besitz der ehemaligen SED und der Blockparteien heranzuziehen, um Willküropfer zu entschädigen: „Das Vermögen der Täter gehört den Opfern.“ Zum Umgang mit der greisen Führungsriege der früheren SED sagte er: „Sind diese Leute krank, dann gehören sie ins Haftkrankenhaus.“

Schumann hielt diesen Äußerungen entgegen, zu den Opfern des Stalinismus zählten unbestritten auch Hunderttausende von Kommunisten. Verursacher der früheren politischen Zustände in der DDR sei nicht nur die SED gewesen. Mitverantwortlich sei auch die Haltung jedes Staatsbürgers gewesen. Eine Einteilung der Gesellschaft in Schuldige und Unschuldige gehe nicht auf. Das veranlaßte den SPD -Vorsitzenden Wolfgang Thierse zu der Zwischenfrage, ob Schumann Geschichtsphilosophie „als die Kunst, es nicht gewesen zu sein“, verstehe. Das Gesetz solle von der SED Verfolgte vom „Makel strafrechtlicher Maßnahmen“ befreien, begründete der Staatssekretär im Justizministerium Reinhard Nissel den Regierungsentwurf.

Die Kriminalisierung Andersdenkender müsse aufgehoben werden. Viele DDR-Bürger seien unberechtigt inhaftiert worden und hätten schwere Haftbedingungen gehabt. Nicht selten hätten politisch Verfolgte erhebliche Gesundheitsschäden erlitten. Das Gesetz strebt nach den Worten Nissels nicht nur strafrechtliche Rehabilitierung an. Genugtuung sollen auch die Menschen erhalten, die mit friedlichen Mitteln ihre Ausreise zu erreichen versuchten, gewaltlosen Widerstand leisteten. Es solle auch ideelle Wirkung haben, zudem hätten Betroffene auch Anspruch auf materielle Wiedergutmachung.

Es müsse eine Rehabilitierung aller an der Mauer Getöteten geben und derer, die in Kliniken rechtswidrig einer psychiatrischen Behandlung unterzogen worden seien. Offen seien noch die finanziellen Möglichkeiten des Staates bei der Wiedergutmachung. Die Gesamtzahl der Opfer sei noch nicht absehbar. In der DDR gibt es Schätzungen, nach denen in 40 Jahren SED-Herrschaft zwischen 40.000 und 60.000 Menschen unschuldig verfolgt wurden.

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