: Unvermitteltes Poppen
Die Erregungswellen beim Thema Pornografie wären deutlich flacher, wenn sich die schärfsten Kritiker nur einmal ein paar Beispiele ansähen. Anmerkungen über ein verpöntes Genre
von MANUELA KAY
Ein Pornofilm ist kein Liebesfilm
Auch kein Film mit erzieherisch-wissenschaftlichem Anliegen. Obwohl so manche etwas lernen könnten, sähen sie nur mal einen Porno. Ein Porno hat in der Regel keine Handlung und er erzählt auch keine Geschichte. Von daher ist das Wort Film eigentlich unpassend.
Pornografie ist die Darstellung sexueller Handlungen in Wort, Bild oder Ton mit dem einzigen Zweck, das Publikum zu erregen. Wer natürlich auf dem Standpunkt steht, Sex diene einzig der Reproduktion, muss Porno als abartig einstufen. Einen Liebesfilm, der Romantik statt Reproduktion verkauft, dann allerdings auch.
Porno ist ein Genre, wie Western, Krimi oder Horrorfilm, die mit Spannung oder Angst arbeiten und genau wie der Pornofilm mit den ewig gleichen Mitteln versuchen, beim Publikum gewisse Gefühle und Reaktionen auszulösen. Statt Tränen, Lachen oder Gänsehaut ist es beim Porno Geilheit und Erregung – im besten Falle. Geht es schief und der Film am Publikum vorbei, dann macht sich genau wie beim unglaubwürdigen Krimi, überkandidelten Horrorfilm oder allzu klischeemäßigen Western Langeweile, Abgestoßensein oder auch unfreiwilliger Humor breit.
Mit der immer gleichen Ikonografie versucht der Porno, mit einem bekannten Muster der Bildsprache, die in einem bestimmten Genre zu erwarten ist, die bezweckten Reaktionen auszulösen. Was im Western das Pistolenduell oder der Mord im Krimi ist, das ist im Porno eben der Geschlechtsverkehr. Allein die Rahmenhandlung wird einem erspart.
Gerne wird Porno ja auch mit dem Genre Musical verglichen. Im Musical setzt unvermittelt Musik ein und die Darsteller beginnen plötzlich – oftmals in völlig unpassender Umgebung wie Straßen oder öffentlichen Verkehrsmitteln – zu tanzen und zu singen. Ähnlich verhält es sich mit dem Geschlechtsverkehr im Porno, der oft ansatzlos und in unvermuteter Umgebung stattfindet. Der Rahmen ist unrealistisch und wirkt – genau wie in vielen Musicals – künstlich. Die genretypische Sprache des Musicals ist dabei genauso durchschaubar wie die des Pornos – und genauso wirkungsvoll. Hier Musik und Tanz, um große Gefühle der Protagonisten zu vermitteln und beim Publikum zu erzeugen, dort Geschlechtsorgane und bestimmte Bewegungen, um Lust und Sexualität zu zeigen und zu bewirken. Somit haben wir es beim Porno also nicht mit einem völlig aus dem kulturellen Zusammenhang gelösten Underground-Medium zu tun, sondern mit einem Genre, das wie jedes andere mit stinknormalen, immer gleichen und vorhersehbaren Mitteln arbeitet.
Porno ist keine Gehirnwäsche
Nun geht es aber im Porno um Sex. In anderen Genres wie beim Krimi, Thriller, Horror oder Liebesdrama geht es lediglich um Mord und Totschlag, um Korruption und politische Machenschaften, wildgewordene Menschenfresser oder um Liebe, Leid und Eifersucht. All das, möchte man meinen, sollte die Leute doch viel mehr auf die Barrikaden bringen und über seine Darstellung diskutieren lassen als simples Vögeln. Und doch ist es ausgerechnet die Pornografie, die so verhasst, so viel diskutiert, so leidenschaftlich verdammt oder verteidigt wird. Die immer wieder in den Untergrund und die Illegalität verbannt ist und doch einen riesigen Geschäftsbereich in westlichen Kulturen ausmacht.
Wann immer über Sexualität und Geschlechterverhältnisse geredet wird, kommt man beinahe zwangsläufig auf das Thema Pornografie. Undenkbar, dass man bei Familienplanung, Beziehungsproblemen oder Liebesdingen den klassischen Liebesfilm oder das Hollywood-Musical als gutes oder schlechtes Beispiel heranzöge. Denn hier kann das konsumierende Volk immerhin zwischen Fiktion und Wirklichkeit unterscheiden. Das Problem mit der Pornografie ist schlicht: Sie wird für real gehalten. Zumindest von jenen, die sie nie anschauen und das Genre mystifizieren. Doch Pornografie ist genauso real wie ein Musical. Die Darsteller existieren zwar, aber was sie vor der Kamera tun, ist inszeniert – ob sie nun singen, tanzen oder ficken.
Immer wieder meinen Leute, dass Pornos das Verhalten der Menschen verändern könnte, zu Erniedrigung von Frauen ermutige oder sexuelle Gewalt unterstütze. Warum wirken Mord und Totschlag im Krimi oder Gesang und Tanz im Musical nicht auf ähnliche Weise auf unser Alltagsleben ein, wie es Porno angeblich tut? Weil es eben gar nicht so ist und nur Menschen, die nie Pornos sehen und dem Genre verklemmt und angstvoll gegenüberstehen, glauben, sie hätten es mit einer Art Gehirnwäschemedium zu tun.
Ausgerechnet die Diskussion um Geschlechter- und Machtverhältnisse wird gern am Porno festgemacht. Die Darstellung von Frauen sei in Pornos erniedrigend, degradiere sie zum reinen Objekt, und allein der Penis würde das Geschehen dominieren. Während in gängigen Filmproduktionen in aller Welt Frauen millionenfach ermordet, vergewaltigt, erniedrigt oder schlicht in unerträglich dümmlicher Weise dargestellt werden, soll ausgerechnet der Porno zum Nachahmen allen Übels animieren? Nur weil hier gefickt statt gemordet wird?
Porno ist so männlich wie Politik
Im heterosexuellen Porno haben Männer und Frauen miteinander Sex – ganz wie in der heterosexuellen Wirklichkeit auch. Dass Männer dabei nun einmal ihren Penis benutzen und Frauen ihre Vagina, ist biologisch bedingt und zweckmäßig, schließlich sind diese Körperteile ja dafür ausgelegt, das würde nicht mal die katholische Kirche bestreiten. Doch immer wieder wird der Pornografie vorgeworfen, sie sei phallisch, männlich und nicht im Sinne von Frauen. Ja, Porno an sich sei männlich.
Pornografie ist ungefähr so männlich wie Politik. Nur dass sich mehr Leute in ihrem Privatleben aktiv mit Sex als aktiv mit Politik beschäftigen – Frauen zu gleichen Teilen wie Männer, kann man wohl annehmen. Denn Sexualität an sich hat kein Geschlecht. Ginge man ganz modern gendertheoretisch an die Sache, basierend auf der Theorie, dass Geschlecht lediglich ein soziales Konstrukt ist, so könnte man Pornografie völlig losgelöst von Mann-Frau-Verhalten anschauen. Einer fickt, einer wird gefickt (von anderen Sexpraktiken, die noch viel mehr Bandbreite aufweisen, einmal abgesehen). Im Schwulen- oder Lesbenporno wird dies besonders gut deutlich. Man braucht, um Sex zwischen Menschen darzustellen, nur Menschen, die miteinander Sex haben. Welchem Geschlecht sie angehören, ist dabei völlig irrelevant. Schwule Pornos funktionieren genauso gut ohne „erniedrigte“ Frauen wie Lesbenpornos ohne „phallische Übermacht“ funktionieren.
Im Porno bereiten sich Menschen in einer konstruierten Handlung gegenseitig sexuelle Lust. Das muss man nicht anschauen wollen, wie sich andere ja auch nicht gern politische Debatten oder Musicals ansehen. Aber Sex mit Männlichkeit gleichzusetzen ist genauso dumm, wie Politik als männlich zu bezeichnen. Natürlich leben wir in einer patriarchalen Gesellschaft, in der man alles als männlich dominiert bezeichnen kann, wenn man will und auf gewisse Weise damit immer Recht haben wird. Doch genau wie in der Politik kommt es darauf an, wie viel Raum, Einfluss und Macht Frauen sich nehmen. Pornografie an sich ist kein männliches Medium, selbst in wirtschaftlicher Hinsicht haben kluge Geschäftsfrauen in der Branche durchaus Einfluss. Das Angela-Merkel-Phänomen ist zum Glück nicht der Politik vorbehalten. Das bekannteste Beispiel einer Sex-Unternehmerin ist in Deutschland Beate Uhse, es gibt aber auch Frauen, die von der Pornodarstellerinnenseite höchst erfolgreich in die Kulissen gewechselt sind, wie Theresa Orlowski oder Dolly Buster.
Weiblich = gut, männlich = schlecht
Gern wird zwischen guter Pornografie, die weiblich, weich und eher erotisch als explizit pornografisch ist, und schlechter Pornografie, die männlich, hart und grausam ist, die explizit Sex zeigt und vor allem phallisch ist, unterschieden.
Schon in der Auseinandersetzung um die Schriften des Marquis de Sade (der Begriff Sadismus bezieht sich auf die von ihm beschriebenen Sextechniken) befanden einige, die seine Darstellungen nicht nur gewaltsam und pervers fanden, dass hier Frauen auch endlich das Recht eingestanden werde, genauso aggressiv, tyrannisch und grausam zu ficken wie Männer. Kurz: dass de Sade somit die Sexualität politisiert habe. Die Verharmlosung weiblicher Sexualität als kuschlig weich und unaggressiv im Gegensatz zur männlich harten und aggressiven Sexualität untermauert höchstens eine unterlegene Rolle der Frauen, statt Emanzipation zuzulassen. Frauen haben genauso ein Bedürfnis und Recht auf „harte“ Sexualität ohne Weichzeichner, wie Männer umgekehrt ein Recht und sehr wohl auch den Wunsch nach Zärtlichkeit und nicht nur „Rein-raus-Sex“ haben. Die meisten Menschen, die ein paar Mal in ihrem Leben Sex mit verschiedenen Partnern oder Partnerinnen hatten, können dies wohl bestätigen.
Natürlich kommt der allgegenwärtige Phallus immer dann ins Spiel, wenn männliche Sexualität gezeigt wird. Eine Erektion im Porno ist sehr viel offensichtlicher als ein vergleichbares Anschwellen der Klitoris. Weibliche Lust optisch darzustellen, ist eine Herausforderung, an der leider viele Pornos scheitern. Genau wie viele andere Filmgenres an der Darstellung von Gefühlen, Handlungen oder Zusammenhängen. Ein Orgasmus beim Mann ist leicht zu filmen, eine Ejakulation – beim Porno „Cum Shot“ oder „Money Shot“ genannt – ist ein unverzichtbarer dramaturgischer Bestandteil des Genres.
Der Orgasmus der Frau spielt sich optisch im Verborgenen ab. Das hat nichts mit phallischer Macht zu tun, sondern eher mit dem filmischen Können, nicht immer nur das Offensichtlichste zu zeigen. Die weibliche Lust muss mit anderen Mitteln, oftmals mit Ton dargestellt werden. Was man bei der Frau nicht sieht, weil es im Inneren des Körpers passiert, kann man zumindest akustisch vermitteln, weshalb das oft nervige und zuweilen als peinlich empfundene Gestöhne im Porno hauptsächlich den Zweck hat, weibliche Lust aufzuzeigen.
Man kann Porno betrachten, wie man will: als eines von vielen Genres der Unterhaltungsindustrie, als Spiegel gesellschaftlicher Verhältnisse oder als Parodie auf die real gelebte Sexualität des westlich zivilisierten, meist heterosexuellen Menschen. Es bleibt – wie die Politik oder das Musical – letztlich Geschmackssache, nicht mehr.
MANUELA KAY, 42, ist Chefredakteurin des Lesbenmagazins „L-Mag“. 1994 drehte sie den Porno „Airport“. Am 21. Oktober spricht sie in der Berliner Galerie Tristesse deluxe zum Thema lesbische Pornografie