Unternehmen unterrichten: Lobbyisten an der Uni
Die Leuphana Universität in Lüneburg hat für ihre Projektwoche Interessenvertreter aus dem Gesundheitswesen eingeladen. Die studentischen Vertreter fürchten um Wissenschaftlichkeit und Neutralität.
HAMBURG taz | Der Asta Lüneburg wirft ihrer Hochschulleitung vor, den Lobbyismus an der Leuphana Universität zu fördern. Anlass der Kritik ist die heute endende Projektwoche "Gesundheit" für Erstsemester. In einem Planspiel waren die Studierenden angehalten für Deutschland ein Gesundheitssystem der Zukunft zu entwickeln und dann zu verhandeln. Durch diese Übung sollten sie unter anderem ein nachhaltiges "Verständnis für die Gesellschaft, in der sie Leben" entwickeln, so die Vorstellung der Organisatoren.
Dass dies gelingen kann, bezweifelt der Asta. Die dazu eingeladenen Experten, die die Studenten während ihrer Projektarbeit beraten und unterstützen sollen, seien hauptsächlich Lobbyisten aus Wirtschaft und Politik. Studentensprecher Julian Frey vermisst "die unabhängigen Wissenschaftler und Patientenvertreter unter den anwesenden Experten".
Er fürchtet eine zu einseitige, interessengeleitete Sicht auf die Dinge. Es könne auch nicht sein, "dass Studenten aus einer Broschüre über das deutsche Gesundheitswesen aufgeklärt werden, die maßgeblich von der Unternehmensberatung Boston Consulting Group erstellt wurden ist", so Frey. Eine ausgewogene Darstellung könne da nicht erwartet werden.
2005 fusionierten die Universität Lüneburg und die Fachhochschule Nordostniedersachsen. Als Folge der Neuausrichtung in College, Graduate- und Professional School heißt die Hochschule seit 2007 Leuphana Universität.
Fakultäten: Bildung, Kultur, Nachhaltigkeit, Wirtschaft.
Studierende: Etwa 7.000, davon etwa 1.300 Erstsemester pro Jahr.
Professuren: Etwa 170, davon: zehn Juniorprofessuren, 20 drittmittelfinanzierte Professuren.
Finanzen (2010): Etwa 79,1 Millionen Euro, davon: Drittmittel: Etwa 11,4 Millionen. Beiträge der Studierenden: Etwa 6,2 Millionen Euro. Zusätzlich: 2010-2015 insgesamt etwa 98 Millionen Euro aus dem EU-Projekt "Innovations-Inkubator Lüneburg".
Holm Keller, Vizepräsident für die Universitätsentwicklung, kann diese Kritik nicht nachvollziehen. Lerneffekt dieser Veranstaltung solle gerade sein, sich in Begegnung mit den verschiedensten Interessenvertretern eine eigene Meinung zu bilden. "Aussagen haben immer eine Richtung, es kommt darauf an, kenntlich zu machen, von wem sie kommen", so Keller. Er meint, die Studienanfänger seien "mündig". Auf der Broschüre sei klar zu sehen, von wem sie ist.
"Deutlich problematisch" findet das Jacob Fricke von Lobby Control, einem gemeinnützigen Verein, der über Machtstrukturen und Einflussstrategien in Deutschland und der EU aufklären will. "Gerade Studienanfänger sind noch nicht geübt, kritisch mit Inhalten umzugehen", so Fricke. Es bestehe die Gefahr, dass hier "Lobbyisten zukünftige Entscheidungsträger für eine bestimmte politische Richtung gewinnen wollen".
Die Gefahr sieht Hochschulmanager Keller nicht: "Wir sind dankbar für die Unterstützung der Unternehmen, auch in der Lehre." Der Staat dürfe sich zwar aus der Hochschulfinanzierung nicht rausstehlen, aber "wenn wir etwas bekommen können, ohne Nachteile in Kauf nehmen zu müssen, dann gibt es für uns keinen Grund abzulehnen", argumentiert Keller.
Der Asta der Leuphana Universität fürchtet um "die Wissenschaftlichkeit und Neutralität der Lehre" und hat als Protest- und Gegenveranstaltung die "Startwoche Plus" ins Leben gerufen. Die Studierenden werden aufgefordert herauszufinden, wie viel Lobbyismus in der Erstsemester-Projektwoche steckt.
Die Fragen sind: "Wer steht oder stand warum bereits miteinander in Beziehungen?" und "Was bringen diese personellen Netzwerke an inhaltlichem Einfluss mit? Welche Inhalte werden behandelt - oder eben nicht?" Die aufbereiteten Rechercheergebnisse werden veröffentlicht und die ersten drei Plätze sollen prämiert werden.
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