: Unterm Strich
Erschütternd sind die Bekenntnisse des ehemaligen DDR-Kulturministers, Hans-Joachim Hoffmann, der, wenn sich wirklich einmal ein Politbüromitglied in ein Konzert verirrte, vor allem die Frage zu beantworten hatte, wie lange denn das Konzert dauere. Dies läßt uns dpa wissen, und erwartungsgemäß tritt auch sogleich der Zustand der Erschütterung ein: Wie isses nu bloß möglich! Dieses Imperium mußte zugrunde gehen, allein wegen seiner Kunst-Dummheit, welche so im Westen einfach gar nicht denkbar wäre.
Noch mehr hat uns die deutsche presse agentur über die dahingeschiedene DDR mitzuteilen: Wenn nämlich einem das Lachen in der DDR gründlich vergangen war, konnte man sich mit Komödie, Kabarett und diversen anderen Unterhaltungsprogrammen wieder „in die nötige Stimmung bringen“. „Lachen war ein befreiendes Bedürfnis gegen den täglichen Frust.“ Dem können wir ohne weiteres folgen. Ganz besonders, wenn von den „frivolen Stücken“ des DDR-Dramatikers Rudi Strahl die Rede ist, welche auf so obszöne Titel wie „In Sachen Adam und Eva“ oder „Ein irrer Duft von frischem Heu“ hörten, und die sich, wie dpa weiter schreibt, „die Bühnen zwischen Suhl und Rostock aus der Hand rissen“. Sollten sie wohl! Heute freilich sieht alles bitterernst und anders aus, denn heute erkennt Strahl, daß „die Komödien oft nur Ventilfunktion gehabt“ hätten. Kein Grund, den Kopf hängen zu lassen! Der Dramatiker liefert das Motto, unter dem diese Rubrik seit eh und je gestanden hat: „Unterm Strich brauchen wir uns nicht zu genieren.“
dpa, oh unerschöpflicher Born! Auch die nächste Meldung müssen wir im Agentur-O-Ton darbieten: „Eine großartige Heimkehr nach 58 Jahren feierte am Samstag abend Marika Rökk in Budapest. Seit die Diva Anfang der 30er Jahre ihre Heimat verlassen hatte, trat die heute 79jährige Künstlerin erstmals wieder im Budapester Operettentheater als Großherzogin Katja in Emmerich Kalmans Operette ,Gräfin Mariza‘ vor ungarischem Publikum auf. Und das feierte den in Kairo geborenen, aber in Ungarn aufgewachsenen Star zahlreicher Musik- und Revuefilme mit donnerndem Applaus.“ Der 110. Geburtstag, nicht etwa der Künstlerin, sondern des Komponisten, gab den Anlaß. Jetzt folgt erst einmal ein Engagement in Wien, aber im Frühjahr 1993 wird Frau Rökk wieder in Budapest auf der Bühne stehen. Allen, die die Künstlerin bislang nur als Faltenspezialistin kennen, rufen wir mit dpa zu: „Obwohl ihre erfolgreichen Ufa- Filme wie ,Der Bettelstudent‘, ,Tanz mit dem Kaiser‘ und ,Hab mich lieb‘ nie in Ungarn gezeigt wurden, wollten zahlreiche Rökk-Fans an der Abendkasse Karten für die Premiere“! Da heißt es Kunstsinn unter Beweis stellen (nur nicht fragen, wie lange die Operette dauert!), ablachen und immer schön „unterm Strich“ bleiben. Mehr, mehr, mehr, dpa!
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