: Unterm Strich
Der Fall Oliver Stone, wie er heute in unserem Aufmachertext angesprochen ist, hat sich, wie sich gestern herauskristallisierte, im einzelnen so abgespielt: „Am 5. März habe ich die Nacht in unserem Haus in Welling, Oklahoma verbracht. Wir haben den Film Natural Born Killers gesehen. Ben fand den Film einfach fantastisch. Danach habe ich vorgeschlagen, daß wir uns ein Konzert von den Grateful Dead in Memphis ansehen fahren.“ So beginnt das schriftliche Geständnis von Sarah Edmundson, der 19jährigen Tochter eines Richters aus Oklahoma, die mit ihrem Freund, dem 18jährigen Benjamin Darras, ihren Prozeß in einem Staatsgefängnis von Louisiana erwartet. Die beiden waren am 7. März durch Mississippi gefahren und hatten einen Mann mit dem Namen Bill Savage ohne ersichtlichen Anlaß erschossen, tags darauf hatten sie eine junge Frau in einer Tankstelle angeschossen, die nun querschnittgelähmt ist. Diese Frau, Petsy Byers, hat inzwischen Warner Home Video, das Warner Brothers Studio, die Aktionäre, den Produzenten und schließlich auch den Regisseur Oliver Stone verklagt, weil Edmundson sich auf den Film berufen hatte. Bestsellerautor John Grisham, der Bill Savage kannte, hatte, wie berichtet, in einer Zeitschrift aus Mississippi geschrieben, man solle Filme „wie ein Produkt behandeln, vergleichbar mit Silicon-Implantaten oder Hondas. Wenn mit so einem Produkt etwas nicht in Ordnung ist, sind die Hersteller verantwortlich. Man muß sich fragen, ob Ben auch auf Unschuldige geschossen hätte, wenn er den Film nicht gekannt hätte.“ „Das Urteil,“ so prophezeit Grisham, „wird aus dem amerikanischen Süden kommen, aus einem kleinen Kinosaal, in dem keine Kameras stehen. Gibt es erst einen Präzedenzfall, verbreitet sich die Sache wie eine Epidemie.“ Experten wiegen skeptisch das Haupt. Die beiden standen außerdem unter LSD. „Nicht nur wird man beweisen müssen, daß es wirklich eine Verbindung gab“, so der Vertreter der Staatsanwaltschaft, „man muß dann auch noch beweisen, daß diese Verbindung ein höheres Interesse darstellt als die Meinungsfreiheit. Das wird ein schwerer Kampf.“ Petsy Byers im Rollstuhl gegenüber der Libération: „Wer könnte noch bestreiten, daß Filme uns beeinflussen? Sehen Sie sich die Frisuren, die Kleider an! Oder auch die Scheidungsrate: Ohne Soap-operas gar nicht zu erklären.“
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