: Unterm Strich
Gleich neben dem nordmexikanischen Fischerdorf Popotla errichtete 20th Century Fox die monströse Filmkulisse der untergehenden Titanic. Im weltweit größten Süßwassertank, ganze 300 Kilometer südlich von Hollywood gelegen, sollen auch künftig Blockbuster gedreht werden. Im Dorf selbst gibt es hingegen kein fließendes Wasser; auf den Felsen unterhalb des Filmsets werden Muscheln gesammelt und am Lagerfeuer gekocht. Im Zuge seines unabgeschlossenen Fotoprojekts „Dead Letter Office“ näherte sich der kalifornische Fotokünstler und Autor Allan Sekula sowohl der Titanic- Baustelle als auch dem Dorf am Rande der Szene, wodurch deutlich wird, daß sich die im Film angeklagte Spaltung der Gesellschaft in Menschen erster und dritter Klasse zwischen MedienarbeiterInnen und Armutsbevölkerung wiederholt. Während bei den Dreharbeiten zur Imagekontrolle ein striktes Fotografieverbot herrscht, richtete sich auf die frei zugängliche Umgebung bislang kein Interesse.
Und während im Süßwasserbecken die „Reservearmee der Ertrunkenen“ übt, hält die U.S. Army 130 Kilometer weiter nördlich eine „Kostümprobe“ für grenzüberschreitende Anlandemanöver ab. Bei dieser mediengerechten Invasionsübung gab sich Sekula als Fotojournalist aus, um so den Troß aus Armee und Reportern zu begleiten. Neben US-Kongreßabgeordneten und angekoppeltem ABC-Newsteams zeigt Sekula auch die Fließbandarbeiterinnen in der Thunfischfabrik, Kofferträger am Kai der Luxusdampfer von Ensenada sowie Metallarbeiter der aus Los Angeles nach Tijuana abgewanderten Hyundai-Containerfabrik, welche ihre Papiere für eine „wilde“ Gewerkschaft abzeichnen. „Dead Letter Office“ ist als Teil der Ausstellung „Dismal Science“ vom 4. Februar bis zum 29. März im Kunstverein München zu sehen. Heute um 19 Uhr hält Allan Sekula im Stadtmuseum einen Vortrag.
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