: Unterm Strich
Der Furor hat sich gelegt, kein Feuilleton, das gestern noch einmal nachlegen mochte in Sachen Walser und Co. Alle Mißverständnisse sind ausgeräumt, nichts mehr war zurückzunehmen. Merke: Zweite Aufgüsse zünftiger Auseinandersetzungen sind immer ein wenig fad und kühlen schneller ab. Keine Erregung auch darüber, daß der Kulturausschuß des Bundestages einen Mahnmalsvorschlag ins Entscheidungsrennen schickt, von dem es kein Modell gibt. Den Vorschlag des SPD-Politikers Richard Schröder, ein Mahnmal zu fertigen mit dem Schriftzug in hebräischer Sprache „Nicht morden“ findet die Konsens- und Akzeptanzfraktion offenbar so überzeugend, daß man den Abgeordneten des Deutschen Bundestages hinreichende Vorstellungskraft zutraut. Die Meinungsfreude zur symbolisch-ästhetischen Dimension eines Mahnmals scheint sich an den Eisenman-Modellen völlig erschöpft zu haben. Falls sich der Bundestag für das Mahnmal mit Schriftzug entscheidet, prophezeien wir allerdings eine Kalligraphie-Debatte.
Einstweilen fahren wir fort damit, weitere Interesselosigkeiten des Tages zu notieren: Eine hellbraune Haarlocke Johann Wolfgang von Goethes hat auf einer Sotheby's-Auktion in London am Donnerstag überraschend keinen Abnehmer gefunden. Wie das Auktionshaus mitteilte, wurde nicht einmal der Mindestpreis für das auf umgerechnet 12.000 Mark geschätzte Dichter-Andenken erreicht. Ein in englischer Sprache verfaßter Brief des Dichters wurde dagegen, das freut den Freund der deutschen Dichtung, von einem privaten Interessenten für 14.500 Mark erstanden. Die in dünnes Papier eingewickelte Locke war von Helene von Villers, einer Freundin von Goethes Schwiegertochter Ottilie, an Fredericke Serre übergeben worden. „Haare von Göthe durch Helene“, steht handgeschrieben auf dem Papier. In englischer Sprache verfaßte Briefe Goethes sind sehr selten. In dem von 1831 stammenden Autograph bedankt sich der Dichter bei dem englischen Maler D. C. Read, der zwei Porträts von ihm geschaffen hatte. Goethe drückt seine Bewunderung für den Künstler aus und wünscht ihm, daß seine Werke von einer „größeren Öffentlichkeit“ zur Kenntnis genommen würden. So war das immer.
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