Unterkunft für Flüchtlinge: Geteiltes Willkommen
In Hannovers bürgerlichen Stadtteil Bothfeld, wo 50 Flüchtlinge leben sollen, ziehen Gegner bis vors Verwaltungsgericht – und scheitern.
HANNOVER taz | Über 300 Unterbringungsplätze für Flüchtlinge will die Stadt Hannover bis Anfang 2014 schaffen. Verteilt über das ganze Stadtgebiet, in neuen Wohnheimen und umfunktionierten Gästehäusern und Hotels. Doch vor Ort in den Stadtteilen ist die Stimmung mitunter wenig freundlich. Erst diese Woche scheiterte vor dem Verwaltungsgericht Hannover ein Eilantrag einer Anwohnerin aus dem Stadtteil Bothfeld gegen ein geplantes Wohnheim.
Rund 990 Flüchtlinge leben derzeit in Hannover, untergebracht in Wohnungen, WG-artigen Wohnprojekten, meist aber in Wohnheimen. 500 Menschen kamen bislang allein in diesem Jahr. Die Stadt geht davon aus, dass weitere Hunderte in den nächsten Monaten hinzukommen. „Dramatisch“ wie etwa in Bremen oder gar Hamburg, wo Flüchtlinge zeitweise in Zelten untergebracht wurden, sei die Situation zwar nicht, sagt ein Stadtsprecher. „Wir arbeiten aber an unseren Kapazitätsgrenzen.“
Im bürgerlichen Bothfeld plant die städtische Baugesellschaft GBH ein Wohnheim für 50 Flüchtlinge. Werktags betreut von Sozialpädagogen, rund um die Uhr soll ein Pförtner- und Hausmeisterdienst vor Ort sein. So sieht es das Leitbild zur Flüchtlingsunterbringung vor, das der Rat im rot-grün regierten Hannover beschlossen hat: Keine Massenunterkünfte, ein umfassendes Angebot an Betreuung und Sozialarbeit für die „Menschen, die unter Heimatverlust sowie eventuell unter den Folgeschäden erlittener Repressalien leiden“.
Von „Luxus-Wohnheimen“ und „Asyl-Hotels“ schreibt die Lokalpresse. Und auch in Bothfeld scheint das städtische Leitbild teils weit entfernt. Seit die Pläne der Stadtverwaltung im Frühjahr bekannt wurden, rumort es. Hunderte Unterschriften wurden gegen das Flüchtlingsheim gesammelt, bei Bürgerversammlungen herrscht regelmäßig Platzmangel. Mit „welcher Hemmungslosigkeit und welchem Vokabular“ dort argumentiert werde, sei „erschütternd“, sagt Bezirksbürgermeister Harry Grunenberg (SPD). Die Szenarien reichen von Warnungen vor mehr Kriminalität, sinkenden Immobilienpreisen bis hin zu Schmarotzer-Vorwürfen.
Februar 2013: In Undeloh, Landkreis Harburg, verhindern Bürger und Gemeinderat ein Asylbewerberheim - aufgrund mangelnder Infrastruktur und Sorge vor sinkenden Immobilienwerten.
März 2013: In Hamburg-Billstedt protestiert eine Bürgerinitiative gegen ein Heim auf dem Schulgelände Oststeinbeker Weg, weil Billstedt mehr Flüchtlinge als andere Stadtteile aufnehmen soll.
Juni 2013: Der Bau einer Unterkunft in Hamburg-Lokstedt wird durch eine Klage gestoppt. Der Bebauungsplan des Geländes am Offakamp schließt eine Wohnbebauung aus.
Juli 2013: In Bremen-Vegesack stimmt der Ortsbeirat gegen Unterkünfte auf dem Sportplatz "Fährer Flur" und für den Erhalt der Grünfläche aus Angst vor Brennpunkten.
Anfang der Woche gipfelte der Unmut in einer Auseinandersetzung vor dem Verwaltungsgericht: Per Eilantrag wollte dort eine Bothfelderin die Baugenehmigung für das Wohnheim verhindern. Die künftige Baufläche im beschaulichen Eichenweg, wo jetzt noch Pferde weiden, sei als öffentliche Spielfläche vorgesehen, monierte sie. Eine besondere Gefahr sieht die Nachbarin in einer nahe gelegenen Gasfernleitung – umherfliegende Trümmer des Wohnheims könnten sie selbst oder ihr Gebäude bei einer Explosion treffen.
Das Verwaltungsgericht wies den Antrag in allen Punkten zurück. „Etwas konstruiert“ sei die Argumentation der Anwohnerin, sagt ein Sprecher. Für Spiel- oder Bolzplätze bleibe mehr als genügend Raum – das Wohnheim brauche nur ein Drittel Freifläche. Auch die vermeintliche Gefahr der Gasleitung konnte das Gericht nicht nachvollziehen: Der erforderliche Schutzstreifen werde eingehalten. Zudem halte auch das von der Klägerin bewohnte Haus den von ihr angemahnten 350-Meter-Abstand zur Leitung nicht ein – es steht nur 120 Meter entfernt.
Bis übernächste Woche ist beim Oberverwaltungsgericht Lüneburg Beschwerde gegen den Entscheid möglich. Eingegangen ist dort bislang noch nichts.
Bezirksbürgermeister Grunenberg hofft unterdessen, dass sich der Widerstand legt, „wenn die Unterkunft steht und man sieht, dass sich die Menschen manierlich verhalten“. Er sei „fest überzeugt, dass es gerade gut ist, wenn die Flüchtlinge nach Bothfeld kommen und nicht in Stadtteile, wo es ohnehin schon Spannungen und sozial prekäre Lagen gibt“. Zumindest eine Willkommensinitiative hat sich inzwischen formiert. Im Internet läuft eine Petition pro Wohnheim, vor Ort Spendensammlungen, um den Flüchtlingen Sprachkurse zu finanzieren.
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