Untergangsprosa

■ Geza Csath: Muttermord. Novellen

Blut ziert den Leinendeckel und das Wort Muttermord ist schön und groß in Sütterlin auf die Linien eines Schulheftes aufgetragen. Man hält eine Sammlung von Novellen des Ungarn Geza Csath in Händen, verfaßt zwischen 1905 und 1913.

Er schreibt mit Blut. Es ist nicht sein eigenes. Es ist das Blut gequälter Kreaturen, das Blut von Fröschen und Eulen, verfeindeter Nachbarn und untreuer Ehefrauen, schlimmer Brüder und unschuldiger Mädchen - und das Blut der Mutter. Doch hat er es ja für sich vergossen. Die Schuldbesessenen ahnen warum. Weil das Verbrechen Entlastung verheißt. Es ist das dumpfe Knacken des gespaltenen Schädels, das letzte lächerliche Zerren, Strecken, Herumfuchteln des Strangulierten, das den Täter gleichmütig, narkotisiert vom falschen Glück, von der Richtstätte ziehen läßt. Auch wer in kindlichem Triumph die Leiche malträtiert, dem mischt sich noch Furcht und Entsetzen darein.

Und im richtigen Leben? Geza Csath, der Geschichte auf Geschichte häuft, hat das Seine zu dem Punkte getrieben, an dem er sich endgültig eingestehen muß: „Nichts kann man wieder gutmachen. Eigentlich befördert man mit jedem Schritt den eigenen Untergang und den anderer.“ Das ist dann auch eingetreten. Csath, dieser traurige Magier des Fatums, erschießt seine Frau. Sein Selbstmord kann verhindert werden. Aus der Nervenklinik, in die man ihn eingeliefert hat, flieht er. Er wird von Soldaten aufgehalten, nimmt Gift und stirbt 1919 im Alter von 31 Jahren. Csath war morphiumsüchtig. Er praktizierte als Psychiater, Kur- und Militärarzt und war als Musikkritiker und Feuilletonist im literarischen Leben des kaiserlich-königlichen Ungarn durchaus kein Unbekannter. 1909 veröffentlichte er seinen ersten Novellenband, dem bald weitere folgten. Mit Ausnahme einer Puccini-Monographie ist nie etwas von ihm in deutscher Übersetzung erschienen.

Csaths Geschichten verlaufen immer alltäglich. Manchmal fangen sie so an: „Wenn hübsche gesunde Kinder früh den Vater verlieren, hat das meist schlimme Folgen.“ Ein bewußtloser Automatismus scheint sie dann voranzutreiben. Sie sind, auch wenn es sich um banale Kindheitsbegebenheiten, Psychographien von Nervenkranken oder philosophische Gedankenexperimente handelt, nicht aus der Lust am Schocken heraus geschrieben. Dazu sind sie zu introvertiert, weshalb das Unheimliche an ihnen auch so nachhaltig wirkt. Denn seine zuverlässigste Quelle liegt auch hier in einem fundamentalen Mißtrauen gegen die eigene Person. Danach erst kommt das Grauen, und das sture Räderwerk ritueller Zerstörung setzt sich in Gang.

Diesen Geschichten fehlt die Trauer. Kein tröstlicher melancholischer Zug mildert die seelische Auflehnung gegen die Vergänglichkeit. Daß die Zeit vergeht auf dem Weg ins Nichts, ist ihm eine marternde Vorstellung. Csath träumt auf seine gewaltsame Weise von der Aufhebung der Zeit. Doch es gibt keine zuverlässige Methode. Weder der Opiumrausch noch das Verbrechen. Leider auch nicht die Gespinste des „Chirurgen“, der in messianischer Emphase expliziert, wie man dereinst die verdammte Zeit aus dem Hirn herausoperieren werde. Nicht von ungefähr sind Kinder die bevorzugten Protagonisten seiner vorgeführten Grausamkeiten, weil es diesen an der Zeitvorstellung mangelt. Im Moment lebend, bedenken sie die Konsequenzen nicht.

Csath hat eine bizarre und sarkastische Eiszeitlandschaft des Gefühls entworfen. Daß es darin irgend etwas zu retten gäbe, das bleibt dennoch als eine heimliche Hoffnung zurück.

Florian Bungart

Geza Csath: Muttermord. Novellen. Aus dem Ungarischen von Hans Skirecki. Verlag Brinkmann und Bose, 176 Seiten, 35 DM