Unter Artgenossen : Deutsch für Tiere
Tuzik hat es nicht leicht. Er ist nicht mehr der Jüngste, etwas pummelig und muss ganze fünf Kilo abspecken. Dann auch noch diese lästigen Schuppen, die auf seinem kurzen schwarzen Fell verstreut sind. Ein Zeichen für Stress, erklärt der Tierpfleger Timo Tolstov. Und als ob das nicht genug wäre: „Er versteht leider kein Deutsch. Er freut sich zwar, wenn man kommt, aber er kann mit den Kommandos herzlich wenig anfangen.“
Tuzik, ein neunjähriger Staffordshire-Terrier-Mischling, stammt aus einem russischsprachigen Haushalt. Ins Tierheim nach Hohenschönhausen kam er erst vor kurzem. Die Besitzer konnten sich wegen des Jobs nicht mehr ausreichend um ihn kümmern, und so muss er sich nun seit einigen Wochen an die neue Umgebung gewöhnen. Und an eine neue Sprache. „Na, Dicker“, klopft Timo Tolstov auf dem breiten Hunderücken. Tuzik dreht das weiße Maul dem Pfleger zu, legt den Kopf schräg zur Seite. Es bleibt unklar, ob sein fragender Blick dem rassetypischen Charme oder tatsächlich seinem Sprachdefizit zuzuschreiben ist.
Ein spezielles Integrationstraining gebe es für die Tiere nicht, erklärt Tolstov. Es genüge, sich mit dem Hund etwas intensiver zu beschäftigen. Eine Stunde täglich reicht, um in ein Paar Wochen die ersten deutschen Worte zu lernen beziehungsweise bestimmte Laute mit der entsprechenden Bedeutung in Verbindung zu bringen. Bis dies passiert, gibt es Kommunikationsschwierigkeiten zwischen Pflegern und Hunden. Ein weiteres Problem – die deutsche Sprachmelodie und die Tonlage unterscheiden sich teilweise deutlich von dem, was ein Hund gewohnt ist. Das führt bei Hunden aus nichtdeutschen Haushalten anfangs zu Irritation, und es vergehen Tage, bis die Sprache nicht mehr befremdlich klingt.
Von rund dreitausend Hunden, die jährlich im Berliner Tierheim betreut werden, können etwa zwanzig die deutsche Sprache nicht. Immer wieder gibt es Hunde, erzählt der Tierheim-Sprecher Marcel Gäding, die nur Spanisch verstehen … oder nur Polnisch … oder Türkisch. Wie der Hund aus Neukölln, der letztes Jahr abgegeben wurde und der nur auf türkische Kommandos reagiert hat. „Eine Pflegerin hat ganz speziell versucht, sich um diesen Hund zu kümmern, und zunächst einmal ins türkische Wörterbuch geschaut.“
Mittlerweile kann auch Tuzik die ersten Erfolge verbuchen. „Vom Grundsatz her weiß er schon, ob man sich freut, oder ob man erbost ist, weil er Dinge nicht richtig macht“, erzählt Timo Tolstov. Aber es wird noch eine ganze Weile dauern, bis dieser Hund bei der Weitervermittlung gleiche Chancen hat wie seine „deutschen“ Artgenossen. Vera Block