Unser kleines Radio: Griechisch tragisch
■ Anmerkungen eines Wellenreiters. Heute: „Der große Sportnachmittag“
Stimmt. Ich wollte schon lange das Tor vom Holzschuppen reparieren. Jetzt ist die Stunde gekommen. Samstagnachmittag. Gelbes Birkenlaub rieselt, die Tomaten sind immer noch grün und auf der Regentonne steht das kleine Grundig. „Der große Sportnachmittag auf der Hansawelle.“ Ein Klassiker. Heute mit Wilhelm Johannson.
Eigentlich darf Wilhelm Johannson nur die Zeit füllen, die die Sportreporter ihm übrig lassen. Musik muß auch noch gespielt werden. Und auf „Basketball-Highlights in Westerstede“ muß hingewiesen werden. Und es erklingt von Mal zu Malen „Hansawelle für Sie“. Wilhelm Johannson sitzt im Studio und muß die erhitzten Sportreporter draußen in den Stadien der Republik bändigen. Souverän und abgeklärt führt er sie am Zügel.
Sie sind die Großmeister des Kleinkalibers. Sportreporter vermögen mit bemerkenswerter Aufgeregtheit einen sehr bescheidenen Wortschatz unendlich zu variieren. „Die Sechziger wollen vielleicht noch das 2:1 machen.“ – „Da bringen sie das Leder hinaus.“ – „Es riecht nach Verlängerung.“ – „Das Ergebnis auch in dieser Höhe in Ordnung.“ – „Eine enorm starke Leistung des Tabellenletzten.“ – „Der Schiedsrichter schaut schon zur Uhr.“ – „Der psychologisch wichtige Ausgleichstreffer vor der Halbzeitpause.“ – „Der FSV erkämpft sich wieder die Bälle.“
Wilhelm Johannson kontert das Marktgekreisch der Reporter durch pastorale Gelassenheit. Er bringt in den aufgescheuchten Sperlingsschwarm der Euphoristen eine sanfte Choreographie. „Der Große Sportnachmittag auf der Hansawelle“ wird nicht einfach so dahergesendet. Er wird zelebriert.
Nur wenn das Schicksal allzu hart zuschlägt („Tor in Gelsenkirchen!!! Tor in Gelsenkirchen!!!“), dann wird auch Wilhelm Johannsons Puls hörbar schneller und Reporterin Sabine Töpperwin darf einfach dazwischenrufen, daß das Tor „in Abstaubermanier durch Goalgetter Nummer eins“ gefallen ist.
„Wie haben Sie selbst Ihr Spiel gesehen?“ – „Ja sicher, ich bin nun mal nicht der Spielmacher...“ Aus jeder dünnen Suppe schöpft uns Wilhelm Johannson eine Kelle Dickes. Und das kleine Grundig auf der Regentonne bekommt eine Gänsehaut, wenn er schneidige Analysen entwirft. „Der große Sportnachmlttag auf der Hansawelle“ hat die Dramaturgie einer griechischen Tragödie. Nichts an ihm ist profan.
Lutz Wetzel
Das Tor vom Holzschuppen ist wieder nicht repariert. Gerd von nebenan kam vorbei. Da haben wir lieber ausgiebig auf die blöden Bayern und auf Uli Hoeness geschimpft, Wilhelm Johannson verkündet „alle Resultate auf einen Blick“. Das gelbe Birkenlaub rieselt. Und die Tomaten sind immer noch grün. Lutz Wetzel
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