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Archiv-Artikel

Universelle Chiffren

Inszeniert wie in den fünfziger Jahren: Das Bucerius Kunst Forum präsentiert eine Willi-Baumeister-Retrospektive

Die abstrakte Kunst ist die höchste Stufe der Kunstentwicklung. Das jedenfalls glaubte Willi Baumeister. Und diese Überzeugung lebte er in schwieriger Zeit, vor den Nationalsozialisten in einem Arbeitsverhältnis für eine Lackfabrik versteckt. Sein Werk wurde nach figürlichen Anfängen in den zwanziger Jahren bis zu seinem Tode 1955 eine Apotheose der Abstraktion, deren Vorbilder er in den Künsten Afrikas, Altamerikas und den frühen Mittelmeerkulturen fand. Nicht reisend, dafür umso intensiver sammelnd suchte er in den Artefakten aller Völker bis hin zur Prähistorie, schließlich in der Welt der Amöben und Urpflanzen universelle Formen, die sich zu reduzierten farbigen Bildzeichen aktualisieren ließen.

Die aktuelle Ausstellung im Bucerius Kunst Forum zeigt konsequenterweise auch Baumeisters exotische Privatsammlung. Steinzeitliche Äxte werden gar direkt neben einem formähnlichen Elipsen-Bild des 1889 geborenen Stuttgarters aufgestellt. Die Ausstellung wagt sogar noch mehr als solche dekorativen Kurzschlüsse: Chefkurator Heinz Spielmann erinnert sich seiner Jugendzeit und inszeniert die Ausstellung wie frisch aus den fünfziger Jahren. Dynamisch schräg in die Rotunde eingeschobene Stellwände erwecken den Eindruck einer Präsentation in einer Bankschalterhalle, und die Bilder sind in einem so genannten „freien Rhythmus“ gehängt.

Die Retrospektive mit 80 Gemälden Willi Baumeisters zeigt allerdings, dass dieser Maler, der nach 1945 durch sein in der inneren Emigration erstelltes Werk keinen geringen Anteil an der Institutionalisierung der abstrakten Malerei in der jungen Bundesrepublik hatte, in seiner phantastischen wie formsuchenden Malerei die Beliebigkeit der informellen Geste vermied und somit einer der interessantesten war. Und sieht man das zeichenhafte Bild Han-i auf Gelb von 1955 neben einer chinesischen Kalligraphie des Zeichens shou (langes Leben), so ist immerhin zu ahnen, dass man über das Zitieren einer fremden Kultur zu universellen Chiffren gelangen kann. Hajo Schiff

Mo–So 11–19 Uhr, Bucerius Kunst Forum, Rathausmarkt 2, bis 30. 10.