Union hält an Wehrpflicht fest: Kluge Jungs braucht das Heer
Ohne Wehrpflicht gibt es beim Bund bald keine Abiturienten mehr, glauben Union und Bundeswehr. Auch die SPD sorgt sich um den Nachwuchs.
BERLIN taz | Die Kanzlerin nutzte den weihevollen Augenblick, der so sehr vom Geist der Traditionsbewahrung durchdrungen war: "Ich bekenne mich zur Wehrpflicht", sagte Angela Merkel auf dem "Feierlichen Gelöbnis" von 400 Rekruten am Montagabend vorm Reichstag in Berlin.
Wie zuvor Verteidigungsminister Franz Josef Jung benannte sie damit die Position, mit der die CDU in den Wahlkampf und in eine kommende Regierungsperiode zu ziehen gedenkt. Der 9-monatige Pflichtdienst bei der Bundeswehr sei "eine wichtige Klammer zwischen Gesellschaft und Streitkräften". Durch die Wehrpflicht werde der Bürger zum Verteidiger seines Landes.
Doch inzwischen bestreiten nicht mehr nur die anderen Parteien, sondern auch viele der verteidigenden Jungbürger, dass die Wehrpflicht in ihrer aktuellen Form überleben muss. "Das heutige Wehrdienstsystem ist nicht mehr sinnvoll", sagt Andreas Ahammer. Er hat gerade zusammen mit Stephan Nachtigall ihrer beider Wehrpflichterfahrungen in dem Buch "5 plus 1 - Wehrpflicht der Zukunft im Gesellschaftsdienst" verarbeitet.
Truppenstärke: Die Bundeswehr umfasst derzeit 250.000 Männer und Frauen. Davon sind etwa 187.500 Berufs- und Zeitsoldaten, 34.500 Soldaten im Grundwehrdienst und 25.300 Soldaten, die den neunmonatigen Wehrdienst freiwillig verlängert haben. Seit dem Kalten Krieg hat sich die Bundeswehr personell halbiert.
Frauen: Seit 2001 dürfen auch Frauen zur Bundeswehr, theoretisch in alle Laufbahnen. Derzeit gibt es rund 15.200 Soldatinnen, die Hälfte sind beim Sanitätsdienst. Sie stellen etwa 8 Prozent der Zeit- und Berufssoldaten.
Geld: Nach einigen Jahren des Rückgangs ist der Verteidigungsetat zuletzt wieder gewachsen, und zwar auf 30,1 Milliarden Euro im Jahr 2009. Die Finanzplanung der Bundeswehr sieht einen weiteren Anstieg bis zum Jahr 2013 auf 31,9 Milliarden Euro vor.
Auslandseinsätze: Soldaten im Grundwehrdienst kommen nicht ins Ausland, sondern nur Zeit- und Berufssoldaten sowie freiwillig länger Wehrdienstleistende. Insgesamt sind derzeit 6.400 Soldatinnen und Soldaten im Ausland, zwei Drittel davon in Afghanistan. Gegenwärtig kommt gut die Hälfte der Soldaten im Ausland aus Ostdeutschland; insgesamt sind Ostdeutsche in der Bundeswehr überrepräsentiert. UWI
Die beiden Mittzwanziger plädieren für die Verkürzung auf 6 Monate und Umgestaltung in einen "Gesellschaftsdienst mit Gegenleistung", sprich: mehr Geld und berufliche Qualifizierung. Der Dienst in gegenwärtiger Form bestehe zum großen Teil aus Beschäftigungstherapie, sagt Ahammer. "Die Jungs werden als Militärkellner verwendet."
Der Bundeswehrverband, bei dem die zwei bis zum Jahr 2008 die Wehrdienstleistenden vertreten haben, ist dem Vernehmen nach über ihre Attacke auf den Wehrdienst nicht entzückt. Das Bundeswehr-Establishment will die Wehrpflicht beibehalten. Sie "bleibt für Einsatzbereitschaft, Leistungsfähigkeit und Wirtschaftlichkeit der Bundeswehr von besonderer Bedeutung", schreibt Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan im "Bundeswehrplan 2009".
Die Union wie die Bundeswehr gehen davon aus, dass nur mit der Wehrpflicht in ihrer gegenwärtigen Form eines der größten Probleme der Truppe bekämpft werden kann: der Nachwuchsmangel in den höheren und qualifizierten Rängen. Ohne Wehrpflicht, so die Befürchtung, werde es bald gar keine Jungen mit Abitur oder Fachabitur mehr geben, die ihren Weg zum Bund finden. Die Wehrpflicht ist für sie eine Art Zwangspraktikum für kluge Jungs.
Gerade im Osten, wo der Arbeitgeber Bundeswehr besonders interessant ist, schrumpfen die Jahrgänge. Zugleich wird sich der Wettbewerb auf dem Arbeitsmarkt "um die verbleibenden leistungsfähigen und motivierten Jugendlichen verschärfen", prognostiziert das Sozialwissenschaftliche Institut der Bundeswehr. Ein Gutes hat die demografische Entwicklung dabei aus Sicht der Wehrpflichtfans: Wenn der Anteil der Rekruten pro Jahrgang wieder zunimmt, werde der Vorwurf der "Wehrungerechtigkeit" entkräftet, hoffen sie.
Doch selbst der demografische Wandel werde an der Willkür der Wehrpflicht nichts grundsätzlich ändern, meint der grüne Verteidigungspolitiker Winfried Nachtwei. Jedenfalls bestreitet er, "dass die Restwehrpflicht dafür notwendig ist, quantitativ und qualitativ guten Nachwuchs zu finden".
Nachtwei teilt nicht die Befürchtung mancher Linker, dass Kriege wahrscheinlicher würden, wenn ohne Wehrpflicht die Söhne der Bourgeoisie nicht mehr gezogen würden. "Wir Grünen schicken ja auch nicht unsere Jungs und sind deshalb nicht eifriger beim Entsenden", sagt er. Die Erfahrung seit 1994 zeige doch, "dass die Frage der Wehrform bei Auslandseinsätzen keine Rolle spielt".
Die Grünen befürworten deshalb einen "freiwilligen flexiblen Kurzdienst", der gesellschaftliches Engagement aller Art gleich behandelt und den Grundrechtseingriff bei jungen Männern aussetzt. So fordern es auch Linkspartei und FDP, wobei Letztere erkennen lässt, dass eine schwarz-gelbe Koalition nicht an diesem Punkt scheitern werde.
Die SPD hat sich zwar 2007 zu einem Teilabschied von der Wehrpflicht durchgerungen. Sie will den Wehrdienst so attraktiv wie möglich und dadurch die Zwangsrekrutierung zum Ausnahmefall machen.
Doch die Nachwuchsfrage beschäftigt auch die SPD-Verteidigungspolitiker: Wenn man "auf der Straße" rekrutieren müsse, "bekommt man einen Personalkörper, der sonst keine beruflichen Perspektiven hat", sagt Rainer Arnold. Würde die große Koalition fortgesetzt, könne es "kein ,Weiter so' geben". Die Wehrverwaltung müsse mindestens die Musterung und den Beginn des Wehrdienstes auf das Ende der Ausbildung der jungen Männer abstimmen, fordert er. Teuer will sich die SPD hier also nicht an Merkel verkaufen.
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