Ungeklärter Mord an Berliner Baubeamten: Visionäre sterben früher
Vor 20 Jahren tötete eine Briefbombe den mächtigen Baubeamten des Senats, Hanno Klein. Das Attentat wurde nie aufgeklärt - und lässt bis heute Raum für Legenden.
Der letzte Tag im Leben des Hanno Klein war ein Mittwoch. Für den 12. Juni 1991 hatten sich in seinem Büro in der Behrenstraße Schwergewichte der Baubranche angemeldet. Vertreter von Philipp Holzmann, der Klingbeil-Gruppe und von Marc Palmer, der das American Business Center am Checkpoint Charlie realisieren wollte, trafen sich mit Hanno Klein, dem Referatsleiter des Berliner Bausenators Wolfgang Nagel (SPD). Der hatte Klein in der wilden Zeit nach 1989 als "Investorenbeauftragten" der Senatsbauverwaltung in den Ostteil der Stadt gesandt. Ein Lieblingsjob für den agilen Klein, konnte er doch dort millionenschwere Grundstücksdeals und Milliardenprojekte für das neue Berlin mit privaten Bauträgern managen - darunter am Potsdamer Platz, in der Friedrichstraße und in Prenzlauer Berg.
Am frühen Mittwochabend eröffnete Kleins Lebensgefährtin Doris O. eine Ausstellung in der Berlinischen Galerie. Nach der Vernissage besuchten beide ein Restaurant, gegen 22 Uhr fuhren sie zur ihrer großen Altbauwohnung in der Pariser Straße in Wilmersdorf. Klein nahm noch die Post aus dem Briefschlitz und ging ins Arbeitszimmer, Doris O. legte sich am anderen Ende der Wohnung schlafen.
Den Knall, der kurz vor Mitternacht aus Kleins Arbeitszimmer drang, haben Anwohner gehört, nicht jedoch Hanno Kleins schlafende Lebensgefährtin. Sie fand ihn am nächsten Morgen tot an seinem Schreibtisch. Blutüberströmt. Eine Explosion hatte Kleins Gesicht zerfetzt, Splitter waren ins Gehirn gedrungen.
Die Berliner Generalstaatsanwaltschaft hat später ermittelt, dass Hanno Klein von einer Briefbombe getötet wurde. Sie war in der Post gewesen, die Klein aus dem Briefschlitz gezogen hatte. Ein wattierter DIN-A5-Umschlag mit einem Aufkleber der Büchergilde Gutenberg. Klein, ziemlich kurzsichtig, aber zu eitel für die nötige Brille, muss den Umschlag - nichtsahnend - dicht vor seinem Gesicht geöffnet haben. Da ging die Bombe hoch. Nach Angaben der Polizei verblutete der 48-Jährige. Doch der Täter ist bis heute nicht gefunden.
Eine zehnköpfige Sonderkommission der Polizei durchleuchtete die Bauszene. Sie nahm die alten Kader aus dem Osten ins Visier. Mitarbeiter, Geschäftsleute, Baustadträte, Freunde, Verwandte wurden verhört. Nichts. Es fehlten Fingerabdrücke und andere verwertbare Indizien. Nach einem Bekennerschreiben aus der linksautonomen Szene ermittelte zudem der Staatsschutz. Während das Bundeskriminalamt das Schreibens für authentisch hält, ist dies in den Augen des Leiters der Staatsabteilung, Dieter Piete, ein Fake.
Alle Spuren verliefen sich im Sande. Im Herbst 1991 wurden die Ermittlungen "vorerst" eingestellt. Martin Steltner, Sprecher der Berliner Staatsanwaltschaft, will 20 Jahre nach dem Attentat weder etwas zu "den Hinweisen von damals" noch etwas "zu möglichen Hinweisen heute" sagen. Der Fall sei ja nicht abgeschlossen, "Mord verjährt nicht, der Vorgang steckt noch nicht zwischen verstaubten Aktenbergen im Keller". Will sagen: Die heiße Spur fehlt auch im Jahr 2011. Der Fall Klein ist eigentlich kein Fall mehr.
Dabei war der Mord 1991 eines der spektakulärsten Verbrechen. Der Anschlag auf einen hohen Baubeamten der Stadt lähmte die Behörde und den Senat. Ist das Nachwende-Berlin zu einer Art Chicago oder Neapel avanciert, wo die Baumafia städtische Beamte jetzt umlegt?, fragten die Gazetten. Stecken Terroristen à la RAF oder die "Revolutionären Zellen" dahinter?
"Es war ein unheimlicher Tod, er hat uns geschockt", erinnert sich Petra Reetz, erst als Juristin in der Bauabteilung des früheren Ostberliner Magistrats tätig und später Kommunikationschefin beim Bausenator. "Klein war ein unglaublich sympathischer Mensch. Okay, er hatte seine Meinung, dass Berlin aus seinem Mief herausmusste. Aber diese Ansicht vertrat er mit großen Ernst, und er hatte Charme." Reetz ist nicht der einzige Klein-Fan. Bis dato schwärmen viele ehemalige Mitarbeiter von ihrem dynamischen Referatsleiter.
Der Autokrat im Referat
Umgekehrt war Klein für nicht wenige ein rotes Tuch: Der Sohn aus reichem hanseatischem Hause, der Architekt und Stadtplaner, der Bonvivant und Porschefahrer Klein galt als ein "moderner Baron Haussmann". Mit Macht und viel Selbstbewusstsein ausgestattet stellte er eine Bedrohung dar, weil er "als autokratischer Referatsleiter der Bauverwaltung" die Privatinvestitionen "stark lenkte", wie seine Kritiker, darunter Architekten und Investoren, murrten. Klein sei quasi das Nadelöhr gewesen, durch das alle Investoren hindurchmussten.
Wollten die Baulöwen neue Grundstücke erwerben - wie etwa die der berühmten Friedrichstraßen-Quartiere 205, 206 und 207, die am "Lindenkorso" oder jene für den damals geplanten 400 Meter hohen Tour de lInfini von Jean Nouvel in Prenzlauer Berg -, mussten sie ihre Projekte mit Klein besprechen. Der nahm nicht den Erstbesten, und seine Auswahl war für das politische Entscheidungsgremium, den Koordinierungsausschuss für Investitionen (KOAI), maßgeblich. Die Firmen lieferten sich einen regelrechten Kampf um die Filetgrundstücke. "Ich habe es noch nie erlebt, dass Investoren so viel Druck auszuüben", sagte Bausenator Nagel damals.
Überhaupt nicht konfliktscheu, bootete Klein auch die ehemalige Baudirektion der DDR aus. Viele ihrer wertvollen Grundstücke in Ostberlin gingen an die Treuhand. Die lobte die Flächen wieder aus. Für diesen "Ausverkauf der DDR" wurde Klein gehasst.
Ärger handelte sich Klein auch ein, weil er die örtlichen Baufirmen, die sogenannte Westberliner Betonmafia, nicht mehr bevorzugte. Die seien für seine Pläne zu klein, schnippte Klein verächtlich. "Wir hätten gern an der Friedrichstraße gebaut, aber man hat uns keine Chance gegeben", klagte Axel Guttmann, Geschäftsführer des Berliner Branchenriesen Klingbeil. Ging es für diese Firmen ums Überleben?
Besonders kritisch wurden Kleins Äußerungen auf Podiumsdiskussionen von der Öffentlichkeit und den Medien gesehen. Den Chefarchitekten der Kreuzberger Stadterneuerung 1984 bis 1987 beschimpfte Klein einmal in der Galerie Aedes: "Herr Kleihues, was Sie hier gebaut haben, ist doch Provinz!" Dem Spiegel hatte Klein gesagt, Berlin brauche eine neue Gründerzeit "mit Markanz und Brutalität". Auch "Denkmalschutz für Sozialstrukturen" dürfe es nicht länger geben. Das saß.
Matthias Klipp, von 1990 bis 1996 grüner Baustadtrat in Prenzlauer Berg und seit 2009 Baudezernent in Potsdam, ärgert sich bis heute über Kleins Sprüche. Zumal der "rote Hanno", wie Klein in der SPD genannt wurde, selbst aus der Ecke der Erhaltungsstrategen kam: "Ich weiß noch, wie empört ich war über seine Äußerungen, die Bewohner von Prenzlauer Berg mögen in die Staubsauger von Marzahn und Hellersdorf verschwinden." Statt weiter für den Erhalt der Gründerzeitquartiere zu kämpfen, habe man feststellen müssen, dass Klein auf eine "brutale Art ausscherte und Verrat an den Zielen der behutsamen Stadterneuerung übte". Es sei ein Gefühl aufgekommen, "dass der Größenwahn" von Teilen dieser Verwaltung Besitz ergriffen hatte. Klipp: "Aus heutiger Sicht muss man leider sagen, dass Hanno Klein die Entwicklung in einigen Stadtteilen visionär vorausgesagt hat. Der Staub der alten Bewohner ist weitgehend verschwunden."
Irre Verschwörungstheorie
Gab es also Gründe, Klein mal eins auszuwischen? Schwer zu sagen. Noch dazu per Mord? Weil kein Täter ermittelt wurde, ranken sich bis heute Legenden um den Anschlag: die Betonmafia, die Baudirektion, die Stasi, Linke - sie alle könnten Klein auf dem Gewissen haben. Die irrste Verschwörungstheorie liefert ein früherer Anwalt aus der Hausbesetzerszene: Der Mossad habe im Auftrag jüdischer Alteigentümer Klein weggeblasen.
Roland Ernst, Bauherr der Galeries Lafayette und 2002 wegen Bestechung verurteilt, hat sich als Kenner der Betonszene zum Fall Klein so seine Gedanken gemacht: Ein Attentat linker Terroristen schließt er aus, eine Briefbombe entspreche nicht deren Handschrift, das Bekennerschreiben sei eine Finte gewesen. Einen gezielten Mord hält der frühere Heidelberger Baumogul für unwahrscheinlich: "Die Briefbombe sollte womöglich nur eine Warnung sein", so Ernst.
Petra Reetz glaubt ebenso an diese Variante. Klein samt seinem "frischem Wind" sollte höchstens eins vor den Bug gegeben werden, "quasi als Drohung". Ein Toter stand nicht im Drehbuch. Nur in wessen?
Bleibt eine Racheaktion der Ost-Baudirektion. Auch hierfür fehlen klare Indizien, zu lange war ihre Abwicklung her. Zudem begann der Stern des Hanno Klein 1991 zu sinken. Nagel hatte ihm einen Maulkorb erteilt, Hans Stimmann als Senatsbaudirektor trat auf den Plan.
Von der 25. Etage des Neubauprojekts Hotel Waldorf Astoria am Breitscheidplatz hat man eine ausgezeichnete Sicht hinüber zur Joachimsthaler Straße und in die ehemaligen Büros der Wettbewerbsabteilung der Senatsverwaltung für Bauen. 1988 saß dort Hanno Klein, umringt von mächtigen Architekturmodellen, und erzählte mit Verve, wie er sich die Zukunft rund um den Bahnhof Zoo vorstellte: supermodern und voller Hochhäuser. Die City-West sollte zum Manhattan an der Spree umgebaut werden. Das gerade entstehende Hochhaus am Zoo ist bis dato einziges reales Zeichen von Kleins Visionen im alten Westen. Doch es soll 2012 weitere geben.
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