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Ungarischer Parteitag billigt neues Programm

■ Heftige Kritik an stalinistischer Vergangenheit / Demokratischer Sozialismus als Ziel / Weitere Strategie der Konservativen und der Stalinisten unklar / Verbündete reagieren mit versteckter Kritik / Parteisprecher bezeichnet SED als „entartete Bruderpartei“

Budapest (taz/ap/dpa) - Der Parteitag der neuen „Ungarischen Sozialistischen Partei“ (USP) hat am Montag ein Programm angenommen, das einen radikalen Reformkurs festschreibt. Zum obersten Ziel der Partei wird der „schrittweise und friedliche Übergang zum demokratischen Sozialismus“ erklärt. Es gelte, „die Staatspartei des Parteistaates zu einer sozialistischen Partei umzugestalten, die sich mit den übrigen Parteien verfassungsmäßig im Wettbewerb befindet“. Ausdrücklich wird die Einführung eines Mehrparteiensystems gefordert. Außenpolitisch wird ein „unabhängiges Ungarn“ gefordert und hinsichtlich der Beziehungen zur Sowjetunion die „Hoffnung“ geäußert, „daß unsere Beziehungen sich tatsächlich zu gleichberechtigten Beziehungen entwickeln“. Gleichzeitig billigten die Delegierten einer Analyse der Arbeit der vergangenen Jahre zu. Darin wird festgestellt, daß Ungarn durch den „Staatssozialismus“ an den Rand des wirtschaftlichen Ruins gebracht worden sei. In den letzten 40Jahren hat sich „der Sozialismus zur Kopierung sowjetischer Schemen verzerrt. Die Partei als politische Bewegung hörte im wesentlichen auf zu existieren“.

Bei der Diskussion um das Parteistatut hatten die radikalen Reformkräfte am Sonntag eine erste Abstimmungsniederlage einstecken müssen. Gegen ihren Widerstand stimmte die Mehrheit des Parteitages dafür, daß auch die neue USP Betriebsparteiorganisationen gründet. Dagegen stimmten nur 107 Delegierte - darunter Nemeth, Pozsgay und Außenminister Horn. Der gemäßigte Reformer Rezsö Nyers stimmte dafür. In dem neuen Statut werden die traditionellen Führungsorgane ersetzt durch einen nationalen Vorstand mit 17 bis 21 Mitgliedern unter Führung eines Parteivorsitzenden.

Das weitere Vorgehen der konservativen Kräfte ist noch unklar. Das frühere Politbüromitglied Janos Berecz sagte am Sonntag im Fernsehen, die alte „USAP“ bestehe nach wie vor. Wenn die Mehrheit oder ein großer Teil der Parteigenossen derselben Ansicht sei, stehe er auf deren Seite. Die gleiche Auffassung vertritt der Führer der Stalinisten in der Partei, Robert Ribanszky. Er kündigte an, eine Abstimmung unter den 720.000 Parteimitgliedern zu organisieren. Parteisprecher Barabas kommentierte so: „Wenn jemand davon spricht, die alte USAP weiterführen zu wollen, dann muß dieses Problem juristisch gelöst werden.“ Bei dem Konflikt geht es auch darum, wer das Vermögen der alten Partei erben wird.

Ungarns Verbündete haben sich in der Reaktion auf das Ende der regierenden kommunistischen Partei bisher zurückgehalten. Das Zentralorgan der SED, das 'Neue Deutschland‘, drückte seine Mißvergnügen dadurch aus, daß es seine Berichterstattung fast ausschließlich darauf beschränkte, Kritiker der Kongreßbeschlüsse wie Grosz und Ribaszky zu Wort kommen zu lassen. Die tschechoslowakischen Medien gingen ähnlich vor. Allerdings wurde in einem Fernsehkommentar der neue ungarische Parteisprecher Janos Barabas heftig angegriffen. Der habe bei einer Pressekonferenz die Kommunistischen Parteien der CSSR, der DDR und Bulgariens als „entartete Bruderparteien“ und ihre Zeitungen, darunter das 'Neue Deutschland‘, als „Parteizeitungen stalinistischen Zuschnitts“ abqualifiziert.

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