Unfall-Policen: Daumen ab? Maximal 50 Euro im Monat
Wem die gesetzliche Unfallversicherung wie viel zahlt, soll neu festgelegt werden. Doch die Reform verzögert sich.
BERLIN taz Es zeichnet sich ab, dass der Zeitplan für die Reform der gesetzlichen Unfallversicherung nicht eingehalten werden kann. Der bisherige Entwurf aus dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales (taz vom 30. Mai) stößt auf Kritik. Es geht um viel: Alle Arbeitnehmer, Schüler und Studenten sind von dieser Reform betroffen. Dabei stehen zwei Dinge zur Debatte: Zum einen soll die Organisation der Unfallversicherung neu gestaltet werden. Ein zweiter, heftig umstrittener Bereich betrifft die geplanten Änderungen im Leistungsrecht: Wer kriegt nach einem Unfall wann wie viel
"Die Auswirkungen der Reform auf Leistungsbezieher sind bislang nicht bis zum Ende durchdacht", kritisiert Heidi Knake-Werner, die Senatorin für Integration, Arbeit und Soziales in Berlin (Linkspartei.PDS). Wie die Gewerkschaften fordert sie: "Sorgfalt muss vor Schnelligkeit gehen." Doch bislang seien die Vorabstimmungen zwischen Bund und Ländern geplatzt.
Aber auch die Länder haben unterschiedliche Positionen: Bayerns Sozialministerin Christa Stewens (CSU) etwa beklagt, dass der aktuelle Entwurf aus dem Haus des Bundesarbeitsministers Franz Müntefering (SPD) gegenüber Eckpunkten vom Juni 2006 um bis zu 500 Millionen Euro pro Jahr teurer werde. Arbeitgeber, die mit den Ländern für den Großteil der Kosten der gesetzlichen Unfallversicherung aufkommen, sehen dies ähnlich. Stewens fordert, wieder zu den alten Plänen zurückzukehren.
Genau das aber würde Kürzungen für Geschädigte bedeuten. Schon am derzeitigen Entwurf kritisiert die IG Metall, dass es auch für Gesundheitsschäden nur wenig Geld gäbe, durch die die Erwerbsfähigkeit um bis zu 20 Prozent gemindert wird: Bei Verlust eines Daumens, extremer Lärmschwerhörigkeit oder chronischer Hauterkrankung würde künftig nur eine monatliche Pauschale von 50 Euro gezahlt. Die alten Pläne sahen für derartige Fälle sogar nur eine geringe, einmalige Pauschale vor.
Bislang war geplant, dass das Bundeskabinett am 8. August den Gesetzentwurf verabschiedet. Bis Ende November sollte die Reform Bundestag und Bundesrat passiert haben. Eine Sitzung von Staatssekretären aus Bund und Länder sollte sich bereits am 14. Juni auf einen Entwurf einigen. Die Sitzung wurde verschoben. Aber auch am vergangenen Donnerstag kam es zu keiner Einigung. Ein Beschluss wäre allein schon deshalb nicht möglich gewesen, weil nur 10 der 16 Bundesländer mit Staatssekretären vertreten waren. Nach den Plänen des Bundesarbeitsministeriums sollte am Dienstag ein erster Referentenentwurf vorgelegt werden. Dass es dazu nicht kommt, bestätigte Klaus Brandner, Sprecher der Arbeitsgruppe "Arbeit und Soziales" der SPD-Fraktion im Bundestag: "Wir brauchen noch Zeit, um das Leistungsrecht fair zu gestalten." Dass die Organisationsreform von der Änderung des Leistungsrechts entkoppelt wird, zeichnet sich ab. Was Geschädigte künftig erhalten, bleibt noch eine Weile offen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren