: Unfähig zum politischen Mannschaftsspiel
betr.: SPD-Richtungsstreit
Rational betrachtet, trägt jeder Sozialdemokrat diesen vermeintlichen Widerspruch zwischen Tradition und Moderne in sich. Dies war sogar in gewisser Weise eine Stärke (gewesen) und Grund dafür, dass die Linke überall in der westlichen Welt an die Macht kam (nachdem die bürgerliche Öffentlichkeit die 80er Jahre über das Ende des sozialdemokratischen Jahrhunderts philosophiert hatte und nun zur Jahrtausendwende, außer in Irland und Spanien, in allen EU-Ländern, zuzüglich Israel und USA Mitte-links-Regierungen amtieren). Die Konservativen wurden abgewählt, weil es die Menschen leid waren, dass ein (notwendiger) Strukturwandel in die Zukunft immer nur auf Kosten der kleinen Leute vor sich ging. Diese Renaissance der demokratischen Linken ist aber nunmehr in die Krise geraten.
Es fällt auf, dass auf Seiten der sogenannten Modernisierer viele sind, die in ihrer Jugend besonders linksradikal waren und innerparteiliche Gegner „Rechte“ titulierten, während auf Seiten der Traditionalisten viele zu finden sind, die in den 70er/ 80er Jahren eher pragmatisch und bodenständig waren.
Das Problem der „Neuen Mitte“ in Bonn, Berlin, Koblenz und anderswo sind die handelnden Personen (die 68-er Generation und ihre Nachfolger), die völlig unfähig zum politischen Mannschaftsspiel sind und sich selbst für wichtiger als die gemeinsame Sache nehmen. Wen wundert es da noch, dass die heute staatstragenden Alt-Jusos, die vor 20 Jahren Marx und andere Utopien für den Nabel der Welt hielten und sich heute an keine Ideologie mehr klammern können, nunmehr die Streicheleinheiten der Arbeitgeberverbände für einen politischen Wert an sich halten. Unsereiner liebte schon vor 20 Jahren mehr die Reize der Haushälterin von Karl Marx als dessen „Kapital“, und deshalb mag ich auch heute noch lieber Arbeiterlieder bei Bier und Bouletten auf Schalke genießen, als Rotwein, Toskana und das ganze egomane Getue der linken Kultur-Schickeria, die sich selbst zu Tode langweilt und die gute alte Tante SPD mit ihrem Weltschmerz von einer Daseinskrise in die nächste stürzt. Ferhat Cato, Koblenz
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