Unerhörtes, etc.: Musikgeschichte schreiben
■ Ein Gespräch zwischen Ray Charles und Fats Domino, das während ihres gemeinsamen Berliner Konzerts in der Waldbühne leider nicht so stattfand
Ray Charles (62) kommt, geführt von seinem Bodyguard, hinter die Bühne der Waldbühne. Gerade hat er seinen Auftritt beendet. Backstage sitzt schon Antoine „Fats“ Domino (65) und wartet, um demnächst seine Show abzuliefern. Charles köpft erstmal ein Fläschchen Mineralwasser.
Domino: „Seit deiner Entziehungskur '64 trinkst du wohl gar nichts mehr.“
Charles: „Ich war heroinabhängig damals. Übrigens, wann hast du denn den Kaugummi- Entzug gemacht?“
Domino: „Gar nicht, ich spiel' immer noch Bubblegum, hörste doch.“
Charles: „Ja, ja ich kenn' das. Die Leute wollen halt immer das Gleiche hören. Ist aber immer noch besser als Butterfahrten machen.“
Domino: „Das da draußen ist fast wie Butterfahrt, Sonnenkappen von der Berliner Volksbank, Luftballons von Junkers, anderer Nippes von West, und was weiß ich, was da noch alles verteilt wird. Dann schon lieber richtig mit Wärmedeckenverkauf und so. In unserem Alter kann man sowas ja auch brauchen.“
Charles: „Wärmedecke? Ich brauch' keine Wärmedecke. Das Publikum vielleicht. Die schlafen gleich ein, wenn sie nicht schon tot sind.“
Domino: „War's so schlimm?“
Charles: „Schlimmer. Die Hälfte von denen ist so alt, daß sie meine erste Single von 1949 schon nur mehr aus reiner Nostalgie gekauft haben können. Und die andere Hälfte muß von den eigenen Eltern gezwungen worden sein, hierher mitzukommen.“
Domino: „Na ja, wir sind ja auch nicht mehr die Jüngsten.“
Charles: „Wir sind vielleicht nicht mehr die Jüngsten, aber wir haben Musikgeschichte geschrieben (sinniert kurz). Also ich jedenfalls.“
Domino (zieht die rechte Augenbraue hoch)
Charles (sinniert immer noch): „Doch, irgendwie schon.“
Domino: (inzwischen beide Augenbrauen oben): „Was für Musikgeschichte? Was war denn schon dabei, das bißchen Gospel in den Blues zu integrieren? Ein Klacks.“
Charles (keifend): „Erstmal selber machen.“
Domino (zurückkeifend): „Das hat meine Oma mütterlicherseits jeden Sonntag in der Kirche schon gebracht.“
Charles: „Hätte sie halt auf Platte pressen lassen müssen. In der Zeit haben sie doch sowieso alles veröffentlicht, was halbwegs gerade in die Tasten hauen konnte.“
Domino (möchte gern wütend aufspringen, kommt aber nicht so recht hoch): „Du mit deinem lächerlichen E-Klavier. Ich habe auf meinem Flügel immerhin den Boogie Woogie revolutioniert.“
Charles: „Der hatte es auch nötig.“
Domino: „Der Flügel? Ach, lassen wir das. Ich werd' dann mal rausgehen.“
Charles: „Ich würd da nicht mehr rauswollen. Die sitzen nur da, picknicken, kaufen sich Sitzkissen für zehn Mark und warten darauf, daß es endlich anfängt zu regnen, damit sie ihre Regenschirme für 15 Mark verwenden können.“
Domino (überlegen): „Du hast vielleicht Musikgeschichte geschrieben, aber ich bring' die zum Toben. Ich muß nur da rausgehen und ,I'm Walking‘ spielen.“
Charles (schelmisch): „Wie oft?“
Domino (stutzt): „Das wäre mal 'ne Idee. Einfach zwanzigmal ,I'm Walking‘, zusätzlicher Vertrag mit Aral, zur Abwechslung jedes fünfte Mal ,Ain't That a Shame‘ oder ,Blueberry Hill‘, die Leute sind zufrieden, den Unterschied merkt kaum einer, die Bläser müssen nicht so lange üben, alle sind glücklich.“
Charles: „Dann mach mal.“
Domino: „Vielleicht nächste Woche. Ich geh' dann mal.“
Charles: „Viel Glück. Bis nachher.“
Fats Domino geht, Ray Charles lauscht den ersten Klängen und hört das Publikum tosen. Schon als zweites Stück spielt Fats Domino „I'm Walking“.
Charles: „Der verschießt sein ganzes Pulver zum Anfang.“
Domino spielt als fünftes Lied „Ain't That a Shame“ und bald darauf „Blueberry Hill“. Die Leute toben weiter.
Charles (seufzend): „Aber ich hab' Musikgeschichte geschrieben. Doch, irgendwie schon.“ Nicht mitgehört von
Thomas Winkler
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