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Undurchdachtheiten –betr.: „Transatlantiksurfer“, taz-Bremen vom 28. November 1998.

Wir, die wir mit dem Kritiker die gleiche Aufführung erlebten, wissen es nun: Hopsen bedeutet, sich in ganz unterschiedlicher, der Partitur des Stückes gemäßer Weise schnell und langsam, ruhig und gehetzt, disharmonisch und in der Musik harmonisch, beeindruckend sportlich, unsportlich zu bewegen. Interessant ist besonders, daß Freud tot ist. Wahrscheinlich, weil damit auch alle freudschen Probleme gelöst sind und auf dem Theater nichts mehr zu suchen haben. Eine bedenkenswerte Theorie zum zeitgemäßen Theater. Neu ist auch, daß zur Beurteilung der schauspielerischen Leistung wesentlich ist, das Ensemble zu nennen, dem der Schauspieler einmal angehörte. Charme, müssen wir begreifen, ist der nuancenreiche Einsatz der Sprache, des Sprechens, der Mimik und der Gestik. Ein abruptes, sich brechendes Gegenüberstellen ganz unterschiedlicher Verhaltensweisen reicht nicht aus. Wohl weil es ein Jugendstück ist, ein hintergründig philosophisches, ein poetisches, ein Sportstück, wie der Kritiker schreibt. Improvisationen heißen nun Undurchdachtheiten. Ruhrpottdialekt darf nirgends mehr auf dem Theater verwendet werden, weil Tom Gerhardt ihn ganz allein für sich gepachtet hat. Und Kardinalfehler steht für ein bis in alle Einzelheiten abgewogenes und schauspielerisch gekonnt umgesetztes Konzept. Aber wer versteht diese neue Kritikersprache schon außer uns, die wir da waren. Es bleibt nichts anderes: Wer sie begreifen will, sollte in die nächsten Aufführungen gehen.

Hartwig Struckmeyer

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