: Und auch noch schön
CHAMPIONS LEAGUE Der FC Bayern steht im Endspiel. Nach den Willensdemonstrationen in den Runden zuvor überzeugt das Team beim 3:0 in Lyon mit spielerischer Dominanz
Bayern-Kapitän Mark van Bommel
AUS LYON MARCUS BARK
Hans-Jörg Butt trug ein orangenes Trikot. Er war damit deutlich von den zehn Feldspielern des FC Bayern zu unterscheiden. Da er sich überwiegend im eigenen Strafraum aufhielt und Handschuhe trug, lag die Vermutung nahe, dass Butt der Torwart der Münchner war. Dennoch wurde er nach dem Halbfinal-Rückspiel der Champions League bei Olympique Lyon gefragt, was er denn so gemacht habe am Abend. „Es geht nicht darum, die Sonne zu genießen“, sagte er. Nein, darum ging es nicht. Butt durfte den Vollmond genießen, von ein paar Beschäftigungstherapien abgesehen. Dass er sein hochkonzentriertes Dasein gewürdigt wissen wollte, war verständlich. Wer will schon nur als Anhängsel einer Mannschaft gesehen werden, die Olympique Lyon mit einem 3:0-Auswärtssieg aus dem Wettbewerb schmetterte und ins Finale von Madrid einzog.
Es wirkte grotesk, als Lyons Trainer Claude Puel davon sprach, die Gelb-Rote Karte gegen Cris (59. Minute) sei mitentscheidend für das Ausscheiden gewesen. Die Bayern von Dienstagabend wären auch in das Finale spaziert, wenn Puel nach einer Stunde noch einen Spieler zusätzlich hätte aufs Feld schicken dürfen. Münchens Trainer Louis van Gaal sprach von einem „Niveauunterschied“ zwischen den beiden Teams. Präsident Uli Hoeneß kostete die Demonstration der Stärke in vollen Zügen aus: „Was wir heute gesehen haben, war fast Fußball in Vollendung. Das habe ich von einer Bayern-Mannschaft in einem wichtigen Spiel schon lange, lange nicht mehr gesehen.“ Vorstandsboss Karl-Heinz Rummenigge sagte in seiner Bankettrede: „Diese Mannschaft verdient es, die Champions League zu gewinnen.“
Sollte es so kommen, stünde wohl für Ivica Olic ein neuer „schönster Tag in meinem Leben“ an, selbst wenn ihm im Stadion Santiago Bernabeu am 22. Mai nicht noch einmal drei Tore gelingen würden. Der Kroate wurde nach seinen Treffern in der 26., 67. und 78. Minute sogar gefragt, ob er auf den Spuren von Gerd Müller wandele. Er musste dabei so lachen, dass er im Rückwärtsgehen aus dem Gleichgewicht geriet: „Müller ist eine Legende.“
Ivica Olic, der nun sieben Tore in der Champions League erzielt hat, als Dauerläufer zu bezeichnen, ist eine Beleidigung. Er ist ein Dauersprinter. Dass er als zentraler Stürmer so gut zurechtkommt, war nicht zu erwarten. Auch diese taktische Finte darf sich van Gaal („Olic hat fantastisch gespielt“) gut schreiben. Sie ist neben der Rückversetzung von Bastian Schweinsteiger ins defensive Mittelfeld ein entscheidender Grund dafür, warum die Bayern mit van Gaal Chancen auf das Triple haben, während es bis in den Dezember hinein so aussah, als sollten sie ohne ihn mit einem neuen Trainer die Saison irgendwie retten müssen.
In der Vorrunde der Champions League gab es zwei Niederlagen gegen Girondins Bordeaux, die fast das Aus bedeutet hätten. In der eminent wichtigen Partie bei Juventus Turin lagen die Bayern schnell 0:1 zurück, ehe sie mit dem 4:1-Sieg (Olic schoss das wichtige 2:1) den Wendepunkt der Spielzeit markierten. Gegen den AC Florenz bedurfte es eines Abseitstores, um das Heimspiel zu gewinnen. In Italien lag der deutsche Rekordmeister zweimal mit zwei Treffern in Rückstand. Bei Manchester United waren es zwischenzeitlich sogar drei. Es war mehr eiserner Wille als spielerische Klasse, mit dem die Münchner ins Halbfinale der Champions League eingezogen sind. Gegen Lyon ging es dem Münchnern dann ganz leicht von der Hand, und schön anzusehen war es trotz aller Widrigkeiten wie gesperrten (Franck Ribéry, Danijel Pranjic) oder angeschlagenen Spielern (Daniel van Buyten, Martin Demichelis) auch noch. Dass Franck Ribéry nach seiner Roten Karte aus dem Hinspiel für drei Spiele gesperrt wurde, wie es die Uefa gestern verkündete, scheint da gar nicht mal so schlimm. Für Louis van Gaal steht ohnehin fest: „Bayern kann jede Mannschaft schlagen.“
Was ist nach der holprigen Anfangszeit bis heute passiert? „Wir haben Stück für Stück mehr verstanden, was der Trainer will“, sagte Thomas Müller, „wenn ich mir vor Verwunderung darüber die Augen reiben müsste, würde ich eine Entzündung bekommen.“ Kapitän Mark van Bommel („Wir alle sind sehr hungrig“) blickte bei der Ursachenforschung noch ein wenig weiter zurück: „In den vergangenen Jahren hat der Trainer nie so eine gute Idee vom Spiel gehabt.“ In der Tat, es hat sich viel bewegt. Ballbesitz, Spielkontrolle, präzise Diagonalbälle, aggressives Pressing, perfektes Positionsspiel – das sind die Bayern im Frühjahr des Jahres 2010 – 365 Tage nach der Entlassung von Jürgen Klinsmann.