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Umweltbildung: Konzepte sind nicht in Sicht

■ Erziehungswissenschaftler, Lehrer, Vertreter der Industrie und Gewerkschafter trafen sich zum Symposium „Zukunftsaufgabe Umweltbildung“ / Kein Konsens über Begriff und Inhalte einer ökologischen Bildung / Föderalismus behindert einheitliche Konzeption / Streit um Verhältnis Ökonomie - Ökologie dominierte die Diskussion

Von Claus Heinrich

Berlin (taz) - „Die Mitarbeiter der Erwachsenenbildung kommen sich vor wie die Deppen der Nation“ - so pointiert faßte Professor Dr. Hans Tietgens den Unmut über die Diskrepanz von offiziellem Lob und der tatsächlich mangelhaften Ausstattung der Erwachsenenbildung im Bereich der Umweltbildung zusammen. Es gab noch mehr kontroverse Ansichten über Begriff und Inhalte ökologischer Bildung, die beim Schlußplenum des dreitägigen Symposiums „Zukunftsaufgabe Umweltbildung“ in Bad Godesberg zur Sprache kamen. Staatssekretär Piazolo vom Bildungsministerium, der Veranstalter des Symposiums, wollte z.B. die „Erwachsenenbildner“ als die „Pioniere der Umweltbildung“ verstanden wissen. Dem trat der Münchener Erziehungswissenschaftler K.H. Dieckhoff energisch entgegen: Nicht den Mitarbeitern der Erwachsenenbildung, sondern dem Engagement betroffener Bürger sei es zu verdanken, daß die ökologische Krise als Unterrichtsgegenstand in den Volkshochschulen Einzug gefunden habe. Auch die sehr unterschiedlichen Interessen von Wirtschaft und Bildungsinstitutionen wurden bei der Einschätzung des Verhältnisses von Ökonomie und Ökologie sichtbar. So wollen die Vertreter der Industrie am liebsten die Umweltbildung im Rahmen der Berufsausbildung in die Betriebe holen, ein Ansinnen, das beim Plenum auf geharnischten Protest stieß: Ökologie gehöre in die Be rufsschule, damit ein Korrektiv zur betrieblichen Ausbildung geschaffen werde, meinte der Vertreter der Gesamthochschule Kassel. Teilnehmer vom DGB forderten, daß die Umweltbildung den Public–Relations–Abteilungen der Betriebe „entrissen“ werden muß. Der Gewerkschaftsbund kritisierte außerdem die „biologi stischen“ Ansätze in der Umweltbildung. Würde Ökologie nur im naturwissenschaftlichen Unterricht behandelt, blieben die Fragen der gesellschaftlichen Ursachen und Zusammenhänge unberücksichtigt. Konsequenterweise müßten daher Umweltthemen fächerübergreifend, also auch in geisteswissenschaftlichen Fä chern wie Sozialkunde, Deutsch und Religion behandelt werden. Daß ein eigenes Schulfach „Umweltbildung“ da wenig Sinn machen würde, war Konsens. Denn zum einen scheint die Zeit vorbei zu sein, in der für jedes neue Thema ein weiteres Unterrichtsfach eingerichtet wurde (wie zuletzt Informatik). Zum anderen würde ein so komplexer Stoff wie Ökologie als Spezialfach einen universell gebildeten Lehrer verlangen. Einig waren sich die Teilnehmer des Symposiums auch darin, daß die Vermittlung ökologischen Wissens im schulischen Bereich handlungsorientiert sein und auch andere Formen als bisher nutzen müsse: Anlage von Biotopen im schulnahen Raum, Besuch von Natur– und Umweltschutzzentren, Museen und zoologischen Gärten usw. Stichwort: Lehrermotivation Das Interesse am Thema Umwelt ist bei Jugendlichen ausgesprochen hoch. So ergab eine vom Bildungsministerium in Auftrag gegebene Studie, daß Umweltschutz von 82 Prozent der Befragten nach dem Abbau der Arbeitslosigkeit für die wichtigste politische Aufgabe gehalten wird. Schüler und Schülerinnen für das Thema Ökologie zu interessieren, scheint dieser Umfrage nach also kein Problem zu sein. Doch wie stehts mit der Motivation der Lehrer? Eine Untersuchung des Kieler Instituts für die Pädagogik der Naturwissenschaften zeigte da erschreckende Defizite: Ganze 18 Prozent der befragten Lehrer/innen gab an, innerhalb der letzten drei Jahre an einer Fortbildungsveranstaltung zum Thema Ökologie teilgenommen zu haben. Hinzu kommt, daß eine gehörige Portion Engagement vonnöten ist, wenn ein Lehrer animierenden Unterricht machen will. Denn einerseits werfen Behörden und Versicherungen den Lehrern bei schulischen Veranstaltungen außerhalb des Klassenzimmers mit ihren Auflagen immer wieder Knüppel zwischen die Beine. Andererseits behindert der Föderalismus eine einheitliche bundesweite Konzeption von Umweltbildung, was nur zu Unsicherheiten bei den Betroffenen, etwa im Bereich der Lehrerausbildung, beiträgt. Ob die Impulse, die von den Teilnehmern des Symposiums ausgingen, zur Vereinheitlichung der unterschiedlichen Ansätze zwischen den Bundesländern beitragen, bleibt abzuwarten. Denn das ist letztlich eine Frage des politischen Willens.

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