Umwelpolitik in Brüssel: Schlupflöcher für Autolobby
Die EU-Umweltpolitik droht in Zeiten der Wirtschaftskrise zu scheitern. Die Heimatländer der großen Autohersteller sollen sich auf einen weichgespülten Klimaschutz geeinigt haben.
BRÜSSEL taz Die Autoindustrie bläst zum Gegenangriff. Die führenden Hersteller-Länder Frankreich, Deutschland, Italien und Großbritannien sollen sich drei Wochen vor dem entscheidenden Klimagipfel in Brüssel auf eine Linie festgelegt haben, die die CO2-Verordnung für Pkw zur Farce werden lässt. Sie wollen, dass ab 2012 erst 65 Prozent der Flotte die strengeren Abgasgrenzwerte erreichen müssen. Stufenweise sollen dann bis 2015 auch die Spritschlucker in die Gesetzgebung einbezogen werden.
Wie das Institut für Europäische Umweltpolitik IEEP bereits in einer Modellrechnung nachwies, bliebe das neue Gesetz damit bis 2015 völlig wirkungslos. 2012 wird nach diesem Modell laut IEEP ein Durchschnittswert von 154 Gramm CO2 pro Kilometer erreicht. Heute liegt dieser Durchschnittwert ganz ohne CO2-Verordnung bei 158 Gramm. Das ist allerdings immer noch deutlich höher als die Selbstverpflichtung der Autohersteller, die schon 2005 einen Durchschnittswert von 140 Gramm versprochen hatten. "Die EU-Kommission weiß seit Jahren, dass dieses Ziel nicht erreicht wird. Wenn es damals schon ein Gesetz gegeben hätte, wären wir heute weiter", sagte Hanns Glatz, Cheflobbyist von Daimler in Brüssel der taz.
Doch Umweltkommissar Stavros Dimas, der im Dezember 2007 endlich einen strengen Verordnungsentwurf vorlegte, sah sich von Anfang an von seinem Kollegen Günter Verheugen ausgebremst, der als Industriekommissar vor allem die wirtschaftlichen Interessen im Auge hat.
Und die rücken angesichts von Kurzarbeit bei VW und Existenzkrise bei Opel deutlich in den Vordergrund. Bei einer Konferenz von Politikern und Autobauern Ende Oktober in Brüssel stellte Verheugen billige Kredite für die Entwicklung neuer Motortechnik in Aussicht - ohne dafür zu verlangen, dass sich die Unternehmen auf verbindliche Klimaziele einlassen.
Denn der nun von den vier großen Industrieländern vorab ausgekungelte Kompromiss enthält neben der langen Übergangsphase weitere Schlupflöcher. So soll intelligente Motortechnik den CO2-Ausstoß auf lediglich 137 Gramm drücken. Weitere zehn Gramm sollen über Biosprit und reibungsarme Reifen erreicht werden. Sieben Gramm erhofft man sich von den umstrittenen Ökoinnovationen, die nur teilweise objektiv nachprüfbar sind. So können zwar Solarzellen auf dem Dach den Spritverbrauch drosseln. Ein sechster Gang aber hat nur dann Auswirkungen auf den CO2-Ausstoß, wenn der Fahrer rechtzeitig schaltet.
Der Industrieausschuss des Europaparlaments hatte Anfang September bereits einen Vorschlag vorgelegt, der dem von den vier großen Industrieländern favorisierten Modell sehr nahe kommt. Doch drei Wochen später hatte der Umweltausschuss die ursprünglichen strengen Forderungen der EU-Kommission in den Text wieder hineingeschrieben. Am kommenden Montagabend treffen sich nun in Brüssel Vertreter von Rat, Parlament und Kommission, um hinter verschlossenen Türen die gegenseitigen Schmerzgrenzen auszuloten.
Möglich ist, dass sich sowohl das EU-Parlament als auch die kleineren Mitgliedsstaaten im Rat die Kungelei der vier Großen nicht gefallen lassen. Dann stünde Ratspräsident Sarkozy beim EU-Gipfel am 12. Dezember vor den Scherben seiner Strippenzieher-Politik. Die grüne EU-Abgeordnete Rebecca Harms sagte dazu gestern der taz: "Die zuständigen Berichterstatter aus allen Parteien sind sich einig, dass wir uns querstellen, wenn der Rat nicht zwei Dinge vereinbart: Hohe Strafzahlungen vom Jahr 2015 an und einen durchschnittlichen Grenzwert von 95 Gramm CO2 ab 2020."
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