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Umstrittenes Abhörgesetz verabschiedetSchweden wird Überwachungsstaat

Schwedens Regierung hat im zweiten Anlauf das umstrittene Abhörgesetz durchgedrückt. Die Opposition will es bei einem Erfolg bei der Wahl 2010 kippen.

"Für gute Aussicht nach draußen, nicht nach innen": Gegen schwedisches Überwachungsgesetz Protestierender Bild: dpa

STOCKHOLM taz Während sich am späten Mittwochabend die schwedische Fussballnational-Mannschaft in Innsbruck von der russischen Elf aus der Europameisterschaft kicken ließ, verabschiedeten im Parlament in Stockholm 143 – gegen 138 – Abgeordnete das umstrittene Überwachungsgesetz. Welches nun eine umfassende und für eine westliche Demokratie bislang beispiellose Kontrolle allen IT- und Telefonverkehr ohne jegliche Verdachtsmomente ermöglicht. "Zu einem Extrem weltweit wird Schweden mit dieser Lex Orwell", wie Dan O'Brien von Electronic Frontier Foundation, einer NGO für die Verteidigung der Bürgerrechte, erklärt.

Der Abstimmung vorausgegangen waren einige im parlamentarischen Verteidigungsauschuss formulierte Gesetzesergänzungen, welche nach Meinung der Regierung zu einer Kontrolle der geheimdienstlichen Überwacher geeignet sein sollen. KritikerInnen und die rot-grünen Oppositionsparteien sprechen von Augenwischerei. Auch die Jugendorganisationen aller vier konservativ-liberalen Regierungsparteien änderten ihre schon vorher kritische Einschätzung nicht: Nur kosmetische Änderungen habe es gegeben, der Kern des Gesetzes sei unverändert. Peter Rådberg, Vertreter der Grünen im Verteidigungsausschuss sprach von einer "Zirkusvorstellung", zu der dieses Gremium von der Mehrheit der Regierungsparteien missbraucht worden sei, der sozialdemokratische Ausschussvorsitzende Anders Karlsson von einem "Machwerk" und einem "Spiel für die Tribüne".

Das einzig wirkliche Zugeständnis der Regierung: 2011 soll eine Zwischenbilanz des neuen Gesetzes gezogen und über mögliche Änderungen beschlossen werden. Doch auch diese Kontrollstation ändere am gefährlichen Potential des Gesetzes nichts, betont die Vorsitzende des schwedischen Journalistenverband Agneta Lindblom Hulthen: "Es gibt eine Grenze für das, was eine Demokratie zu ihrem Schutz machen kann, ohne selbst undemokratisch zu werden." Und man müsse sich fragen, ob diese nun nicht überschritten worden sei. Oscar Swartz, IT-Experte: "Sobald die Daten zu den Überwachungscomputern kopiert werden, hat man eben jede Kontrolle verloren."

Kopiert wird der gesamte Email-, Chat- und Telefonverkehr ab 1. Januar 2009 über Weichen, die an allen grenzüberschreitenden Kabeln eingebaut werden. Das System, mit dem danach diese Datenflut auf Zehntausende "verdächtiger" Stichworte oder Personennamen gescannt werden soll, halten viele Experten aber jedenfalls für den offiziell behaupteten Zweck der Terrorbekämpfung für wirkungslos. Der Geheimdienst werde einerseits in einer Flut von Material ertrinken, hätte andererseits aber kaum eine Chance wirklich sinnvolle Informationen herauszufiltern, meint Magnus Norell, Terrorexperte am schwedischen verteidigungs-politischen Forschungsinstitut FOI.

Wie lange das Gesetz überleben wird, könnte vom Ausgang der Wahlen 2010 abhängen. PolitikerInnen sowohl der Grünen wie der Linkspartei kündigten an, man werde versuchen es im Falle einer rot-grünen Mehrheit zu kippen. Doch für einen solchen Schritt bräuchte man die Sozialdemokraten. Die sich in ihrer Kritik gegen das Abhörgesetz auffallend zurückgehalten haben. Gehören sie doch traditionell ebenfalls zur "Überwachungsfraktion". Seit Anfang der fünfziger Jahre hatten sie am Parlament vorbei mit dem eigenen illegalen Geheimdienst IB zehntausende KommunistInnen überwachen lassen, bis diese verfassungswidrige Tätigkeit 1973 aufgeflogen war. Und auch die Idee zur jetzigen "Lex Orwell" war ursprünglich unter der sozialdemokratischen Regierung Persson geboren worden.

Lässt sich die derzeitige massive Kritik aber konservieren und käme es tätsächlich zu einem Wahlkampf mit dem Überwachungsthema, fürchtet selbst ein regierungsfreundliches Blatt wie die Stockholmer "Dagens Nyheter" Folgen wegen der "Arroganz", mit der die Regierung Reinfeldt das Gesetz gegen alle Proteste durchgedrückt habe: "So eine Regierung braucht keine Opposition. So eine Regierung stürzt sich selbst."

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7 Kommentare

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  • RH
    Reinhard Helmers

    Es ist an der Zeit, die schwedische Beamtendiktatur zu erkennen, in der die Kabinettsminister als machtlose Gallionsfiguren fuer das Volk dienen.

    Reinhard Helmers,

    Univ.-lektor a.D.

    Lund, Schweden

  • R
    Rick

    Wenn man das jetzt mal zueinader zählt, ohne Panik, dann hat man da einmal also den ganzen Computer- und Telefonverkehr auf staatlicher Seite.

    Schaut man jetzt auf technische Möglichkeiten der Ortung - Handy und Kameraüberwachung zum Beispiel, dann hat man ein interessantes Szenario für den Fall, daß es mal eine Regierungsform gäbe, die abweichende Meinungen verfolgt.

     

    Aber es werden jetzt ja alle langsam auf diese Dinge aufmerksam und so wird es dazu nicht kommen.

    In Schweden fragt man sich, wo da jetzt die konkrete Bedrohungsläge wäre, die solche Schritte rechtfertigen würde.

    man fragt sich auch, was der politische Liberalismus in Europa noch wert ist, wenn eine liberale Partei dafür stimmt.

     

    FG

  • IN
    Ihr Name Mari

    Schweden interessiert mich deshalb so sehr, weil dort viele Dinge noch zu finden sind, die bei uns in Deutschland nur noch Erinnerungen hervorrufen. In der Natur, in den Köpfen der Menschen und in ihren Verhaltensweisen. Deshalb ist es so sehr verwunderlich, dass solche Sachen dort passieren.

    Ich habe mich oft gefragt, warum sind die Veränderungen und Kürzungen im Sozialbereich, die Umwandlungen: Lanthandel zu Supermarktketten, Buchläden zu Bookia etc. gerade da so schnell und frühzeitig passiert? Ein Schweden-Kenner meinte dazu, die Schweden seien traditionell viel zu gutgläubig. Sie seien noch eine ganze Weile der Überzeugung, dass die Politiker ihnen nichts Böses wollen könnten! Und kommen deswegen auch nicht so schnell in die Puschen.

     

    Als ich die Bücher von Klas Östergren las: "Gentleman" und "Gansters" ist mir vieles klar geworden. Er beschreibt in dem zweiten, wie ein Mann, der eine Firma zur Meinungsforschung betreibt, seine Staatsaufträge als wichtigen Beitrag zu optimaler Politik für´s Volk versteht. In den folgenden Wirren muss er sich sehr schmerzhaft von dieser Illusion verabschieden.

    Für mich wurde deutlich, wenn man erforschen will, wie weit man gehen kann, was man den Menschen zumuten kann, bis wohin sie mitgehen, ohne sich zu wehren, dann kann man das am besten in einem Staat mit sehr hohen Sozialstandards tun. Mit einem hohen Bewußtsein zum Thema Gerechtigkeit. Zudem spielen die Verflachungsmedien gut mit. Und die schnelle Durchsetzbarkeit wegen der fehlenden Korrektur durch einen Bundesrat, und die Tradition, dass oft große Mehrheiten im Parlament in "wichtigen" Fragen erzielt werden, trägt erheblich zum "Erfolg" bei.

    Wenn man das also in einem Land wie Schweden schafft, muss man um die "Transformationen" in den anderen Ländern nicht bange sein.

     

    Jeder, der jetzt an Verschwörungstheorie denkt, sollte sich z. B. die Einflüsse der Bertelsmann-Stiftung auf jeden gesellschaftlich relevanten Bereich ansehen. Da gibt es im Internet reichlich zu finden. Das ist spannender als ein Kriminalroman!

  • M
    Michi

    Jaja, "Vorbild Skandinavien" wie es immer heißt. Im übrigen nur einer von vielen Bausteinen der letzten Zeit. Ähnliches findet man in Finnland, Norwegen und Dänemark. Wer die Skandinavier immer noch als Vorbild ansieht der ist endgültig in den 80ern hängengeblieben. Es gibt kein "Vorbild" gerade in dieser Frage. Überall gerät die wohl schon zu selbstverständliche Freiheit unter Druck. Da hilft es auch nichts mit eingeübten Parolen und Andeutungen von "Regelwut" oder dergleichen zu sprechen, oder gar das 3. Reich zu bemühen. Dies hat alles eine neue Qualität, auch vor dem Hintergrund der absoluten Durchdringung unseres Alltags von Computertechnik. Was früher eine Hundertschaft von Spitzeln kaum vermochte herauszufinden, geben wir heute ganz freiwillig im Internet auf sozialen Plattformen preis. Bis hin zu sexuellen Vorlieben. Das zeigt: die alte Denke "wir gegen die da oben" trägt nicht mehr. Diese Politik ist im gesellschaftlichen Kontext zu sehen und eher Ausdruck einer gesamtgesellschaftlichen Entwertung von Privatheit als von einer einseitigen Verschwörung der "Mächtigen" gegen das wehrlose Wahlvolk. Darum hilft es auch nicht, diese oder jene Regierung zu verdammen. Auch keine Parolen. Solange wir unserer von unseren Vorfahren bitter erkämpften Freiheit keinen Wert mehr beimessen und sie zu beliebigem Thema der Tagespolitik machen solange wird sich diese Spirale weiterdrehen! Und bitte bitte bitte ohne die ewig-gleichen Parolen, Reflexe, Ideologien. Die sind nämlich ein Teil des Problems, nicht der Lösung. Aus dieser eingeschlagenen Spur werden uns eingefahrene Denkweisen sicher nicht raushelfen!

  • B
    Björn

    Die Wut der Schweden zum Lex Orwell ist aber Massiv und nicht nur vom Links...

     

    http://www.styggasvenskar.se/

  • SG
    ssh, gpg

    Das ist DIE Chance fuer E-Mail mit gpg und WWW mit https. Die Schweden sollten einfach dazu uebergehen, alle E-Mail Korrespondenz zu verschluesseln und groesstenteils Internetseiten mit https ins Netz stellen. Nachteil: geringfuegig gestiegener Energieverbrauch Vorteil: Privatsphaere groesstenteils wieder hergestellt (E-Mail: ja, WWW: zumindest von Ausland nach Schweden)

  • Q
    quidane

    Ich kann nur hoffen, dass diese Regierung tatsächlich nie wieder gewählt wird und dass Gesetzt gestürzt wird.

    Ich kann einfach nicht verstehen, wie Politiker - die eigentlich gewählt wurden, um Freiheit zu schützen - ihre Wähler um die Freiheit zu berauben versuchen.

    Es ist eine Unverschämtheit, vor allem da so richtig keiner glaubt, dass solche Maßnahmen irgendetwas mit Terrorismus zu tun haben.

    Das schlimmste ist nur das die anderen Länder wahrscheinlich folgen werden. Ich hoffe, nur dass wir in Deutschland denen entsprechenden Widerstand leisten werden.