Umstrittene Gästeliste: Nordwestradio bietet Bühne für AfD
In einer Live-Sendung in Bremen setzt das Nordwestradio einen AfD-Mann auf das Podium. Damit hofierten die Öffentlich-Rechtlichen Rechtspopulisten, sagen Kritiker.
BREMEN taz | Das Nordwestradio steht in der Kritik, einem AfD-Politiker eine öffentlich-rechtliche Bühne geboten zu haben. Eigentlich sollte sich die Diskussion am Mittwochabend um eine geplante Unterbringung für Flüchtlinge im Bremer Stadtteil Borgfeld und die hiesige Willkommenskultur drehen, doch sie wurde überlagert von einer anderen Frage: Hofiert ein öffentlich-rechtlicher Sender mit seiner Auswahl der Podiumsgäste die Rechtspopulisten oder ist die Redaktion bloß debattenfreudig?
Auf das Podium gesetzt hatte die Sendereihe „Nordwestradio unterwegs“ neben Britta Rasch-Menke von der Ökumenischen Flüchtlingshilfe Politiker von CDU, SPD und Grünen, nicht aber von der Linken als etablierter Partei. Ebenso hatten die in der Bremischen Bürgerschaft vertretenen rechtspopulistischen „Bürger in Wut“ (BIW) das Nachsehen. Stattdessen setzte das Programm von Radio Bremen und dem NDR auf AfD-Landesvorstandssprecher Christian Schäfer, obwohl die rechtspopulistische Formation in Bremen bis heute kein landespolitisches Programm gezimmert hat.
Die BIW beschwerte sich daraufhin, nicht eingeladen worden zu sein. Ein linkes Bündnis von Linksjugend Solid, Flüchtlingsinitiative, Avanti, SDS Bremen und den Jungen Piraten kritisierte die Stoßrichtung der mit der Frage „Hat Bremen ein Problem mit Flüchtlingen?“ betitelten Veranstaltung: In einem offenen Brief forderten sie den Sender auf, diese abzusagen.
Sozialstaatsrat Horst Frehe (Grüne), der ursprünglich als Podiumsgast vorgesehen war, hatte im Vorfeld abgesagt. Er habe keine Zeit, ließ er seinen Sprecher Bernd Schneider ausrichten. Vertreten wurde er von Abteilungsleiter Karl Bronke. Die Besetzung des Podiums nannte Schneider „unglücklich“, aber letztendlich entscheide dies Radio Bremen.
Bislang nicht nennenswert in Erscheinung getreten ist die AfD in Bremen - von zwei Auftritten abgesehen:
Linksautonome attackierten AfD-Chef Bernd Lucke bei einer Wahlkampfveranstaltung im August 2013 im Bremer Bürgerpark.
Lieber unter sich blieb die politische Formation im Mai bei einem erneuten Auftritt ihres Spitzenkandidaten Bernd Lucke in Bremen: Journalisten wurden aus dem Veranstaltungssaal geworfen, ein Security-Mann griff nach einer Kamera.
Auch Britta Ratsch-Menke vom Flüchtlingsrat kritisierte die Auswahl der Gäste: „Mit der AfD sollte man sich auseinandersetzen, aber dass ihr hier gratis ein Podium geboten wird, wo sie weder in der Bürgerschaft noch im Beirat ein Mandat hat, finde ich überflüssig und problematisch, wenn man sieht, wie diese Partei Menschen vom rechten Rand abfischt“, sagte sie bei der Veranstaltung. „Wir wollten für die Diskussion ein breites Meinungsspektrum“, rechtfertigte Moderator Stefan Pulß die Entscheidung. „Jedenfalls soweit es sich nicht um verfassungsfeindlichen Einstellungen handelt.“
Die Sendereihe sei keine, die den Parteienproporz wahrt, erläuterte deren Koordinator Kai Schlüter auf taz-Anfrage. „Wir laden Leute ein, von denen wir glauben, dass sie zum Thema etwas zu sagen haben“, sagte er.
Doch Christian Schäfer, der Sprecher des AfD-Landesvorstands in Bremen, hatte in diesem Abend kaum etwas zur Diskussion beizutragen: Abgesehen von dem Hinweis, dass Flüchtlinge Menschen sind und das Asylgesetz angewendet werden sollte, war von ihm wenig zu hören.
Der Sender hält die Entscheidung nach wie vor für richtig: „Der Protest von BIW und Linksjugend bestätigt uns, dass wir ins Zentrum der gesellschaftlichen Debatte getroffen haben“, sagt Schlüter. Im Gegensatz zu den BIW, die „nur bremisch seien“, sei die Position der AfD überregional wichtig, sagt er.
Dass die Linksjugend forderte, die Sendung abzusetzen, hätte ihn aber schon überrascht. Immerhin sei die Partei selbst vom Reflex der Politik betroffen gewesen, mit neuen Parteien das Gespräch zu verweigern. „Wir haben bewusst gesagt, dass wir diesem Reflex nicht nachgeben“, sagt Schlüter. Der Rechtspopulismus sei in Europa mittlerweile völlig normal. Nun komme er auch in Deutschland an. „Das müssen wir als Journalisten schließlich zur Kenntnis nehmen“, findet Schlüter.
Dass das Veranstaltungsthema polarisierte, spiegelte sich auch im gut gefüllten Besucherraum der Borgfelder Schützengilde: Ein älterer Mann ging die Kritiker, die die Veranstaltung störten, harsch an: „Sie Ungeziefer, verlassen Sie den Raum – und gehen Sie sich erstmal rasieren“, schimpfte er. Ein anderer Nachbar sagte, er sei ernüchtert von dieser Diskussionskultur, er hätte sich gewünscht, einfach nur informiert zu werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich