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Umstrittene Abstimmung um MeldegesetzDer Bundestag verstimmt sich

Wie das Meldegesetz eines Abends mit ungewöhnlicher Eile durchs Parlament gepeitscht wurde – und sich einige wie die Axt im Walde dabei benahmen.

Ein trauriges Häuflein Abgeordneter stimmt am 28. Juni 2012 übr das Meldegesetz ab. Bild: Screenshot/dapd

BERLIN taz | Das neue Meldegesetz beschloss der Bundestag fast unbemerkt. Am Abend des 28. Juni – bei der Fußball-EM spielte Deutschland gegen Italien – rief Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau den Tagesordnungspunkt 21 auf. Im Plenum saßen nur noch wenige Abgeordnete. Gegen die Stimmen der Opposition beschloss die schwarz-gelbe Mehrheit binnen weniger als einer Minute das „Gesetz zur Fortentwicklung des Meldegesetzes“.

Geplant war im Gesetzentwurf ursprünglich, dass die Herausgabe von Daten für Werbung oder Adresshandel der Einwilligung des Betreffenden bedürfen. Abgestimmt aber wurde am 28. Juni plötzlich über eine Fassung, die die Erlaubnis umgewandelt hatte in eine Widerspruchslösung. Den geänderten Gesetzestext hatte kurzfristig, nur einen Tag vor der Abstimmung, Schwarz-Gelb im Innenausschuss durchgedrückt. Wortführer waren der CSU-Innenexperte Hans-Peter Uhl und die FDP-Innenpolitikerin Gisela Piltz, bei der Formulierung leistete das Innenministerium Hilfe.

Tags darauf passierte das Gesetz den Bundestag. Und dass es nun aller Wahrscheinlichkeit im Bundesrat scheitert, verdankt sich der gewachsenen Sensibilität des Souveräns. Zehntausende Bürgerinnen und Bürger haben bereits einen Aufruf an die MinisterpräsidentInnen der Länder unterzeichnet, das Gesetz im Bundesrat zu stoppen.

Die Bundesregierung distanzierte sich am Montag von dem Projekt. Regierungssprecher Steffen Seibert sagte: „Die Bundesregierung hält es für denkbar, dass im weiteren parlamentarischen Verfahren noch eine Änderung erreicht werden kann, die den Datenschutzinteressen der Bürger noch stärkeren Raum einräumt.“ Man setze darauf, dass der Bundesrat den Gesetzentwurf stoppt. Der bayrische Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) erklärte: „Wenn das stimmt, was ich bisher weiß, dann wird Bayern dem nicht zustimmen.“

„Relativ kurzfristig“

Im Innenausschuss vor zwei Wochen, wo der Entwurf gegen die Opposition durchgestimmt wurde, saß auch Wolfgang Wieland. Der Obmann der Grünen erinnert sich, dass die Koalition „relativ kurzfristig“ ihren Änderungsantrag vorgelegt hat. Wieland war sofort klar: „Das Papier sah eine Verschlechterung des Regierungsentwurfs vor, vor allem bei der Herausgabe von Daten an Adresshändler.“

Hoch hergegangen sei es an diesem Tag, sagen auch andere, die dabei waren; CSU-Mann Uhl habe sich „aufgeführt wie die Axt im Walde“. Als die Vertreter der Opposition ihre Bedenken anmeldeten und fragten, warum das Gesetz so hopplahopp durch den Bundestag müsse, sei „Schwarz-Gelb nicht in der Lage gewesen, das zu begründen“, berichtete Wieland. „Da wir nicht die Möglichkeit haben, Daumenschrauben anzulegen, blieb uns außer Beschimpfungen nichts übrig“, flachste Wieland. Die Grünen hätten sich aber sofort mit der SPD verständigt, dass man das Gesetz im Bundesrat stoppen werde.

Am nächsten Abend erfolgte das Trauerspiel im Bundestag. Petra Pau (Linke) führte die Sitzung. Der taz sagte sie: „Die Bundestagsvizepräsidentin leitet die Sitzung - egal was die Innenpolitikerin dazu sagt.“ Auch Pau berichtete von plötzlicher Eile beim Meldegesetz. Es sei zwar „nicht unüblich, dass im Innenausschuss Änderungen auf den Tisch kommen. Aber die Koalition dachte, sie kriegt das unbemerkt durch.“

Pau vermutete, „dass die Koalition hier vor der Lobby eingeknickt ist“. Es freute sie, dass es nun eine öffentliche Debatte dazu gibt, „die haben wir den aufmerksamen Bürgern zu verdanken“. Im September wird sich der Bundesrat mit dem Gesetz befassen. Mehrere Länder, darunter auch unionsgeführte, haben Widerstand gegen die jetzige Fassung angekündigt. Es wird damit gerechnet, dass der Vermittlungsausschuss angerufen wird.

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27 Kommentare

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  • PR
    Paule Regenschirm

    den soundtrack zur Sitzung gibt es hier: 57 Sekunden

  • GB
    Gerald Bachmann

    Es waren weder "Glück" noch "Sensibilität des Souveräns", welche diesen Vorgang aufgedeckt haben, sondern die alternativen Medien, konkret ein Blogger, der bzw. die heutzutage die Arbeit machen, die eigentlich die Presse - also auch ihr - machen solltet.

     

    Und da wundert ihr euch über sinkende Abo-Zahlen? Was mich angeht, zahle ich eingesparte Abonnementkosten lieber an Blogger und freie Journalisten denn an irgendeine organisierte Zeitung, taz eingeschlossen.

  • S
    scheipant

    Artikel 49 Grundgesetz:

     

    Wer es unternimmt, die Mehrheit der Abgeordneten des Deutschen Bundestages mit List und Tücke zu täuschen, wird bei Erfolg zum Schlingel erster Klasse ernannt. Er erhält zur Auszeichnung die goldene Banane erster Klasse vor sein Hirnkästchen getackert.

     

    Sollte er kein Hirn haben, sind zum Tackern schalldämmende Maßnahmen (Hohlraumversiegelung) vorzunehmen.

  • S
    Synapsenkitzler

    "Meldeämter sollen künftig Ihre Adresse an Datenhändler verkaufen dürfen – ohne dass Sie das verhindern können. Doch noch kann und muss der Bundesrat diese Regelung stoppen. Unterzeichnen Sie jetzt unseren Appell!"

    Unterzeichner/innen innerhalb von 16 Stunden: 98.528

    http://www.campact.de/melderecht/sn1/signer

  • AS
    Andreas Smith

    Haben diese Online-Petitionen überhaupt irgend eine Wirkung? Da kann doch jeder irgend etwas eintragen, und die Adressaten hauen das dann wegen Unwirksamkeit in den Müll. Ich finde den Ansatz der Augsburger Allgemeinen viel besser, die die ketzerische Frage gestellt haben: "Wo waren unsere Abgeordneten während der Abstimmung, und warum hat es sie Null interessiert".

     

    Fragen Sie also Ihren Abgeordneten! Und wenn er untertaucht, oder nix gescheites sagen kann, dann erwägen Sie doch ernsthaft, ihn nicht mehr zu wählen ;-)

  • RC
    robin c. sherwood

    Mal abgesehen von all dem ganzen anderen Müll: Wenn ich mir dieses Foto mit diesem noch nicht mal mehr als traurig zu bezeichnenden Resthäufchen Abgeordneter betrachte, frage ich mich schon, wofür die eigentlich ihr Geld bekommen. Soweit ich mich erinnere, war's jedenfalls nicht für Fußballgucken!

    Vorhin, als ich in den Spiegel sah, bemerkte ich ein paar neue Verdickungen an meinem Hals...

  • FN
    Franz Nagel

    Wieso sollen wir uns damit begnügen, daß uns die, die dabei waren, hinterher erzählen, wie es im Innenausschuß hergegangen ist? Es wird Zeit, die Geschäftsordnung des Bundestages zu ändern, deren § 69 (1) die Beratungen der Ausschüsse als "grundsätzlich nicht öffentlich" erklärt. Solche Atavismen haben in einer offenen Gesellschaft nichts zu suchen.

  • B
    Branko

    Der einzige Rest Demokratie, der hier noch funktioniert, sind notbremsende Kontrollinstanzen.

    Ansonsten hat das mit einer solchen nicht mehr viel gemein.

  • R
    Rixdorf

    Herr Wieland, den Grünen, der SPD usw. scheint das Ganze aber dann doch nicht so wichtig gewesen zu sein, wie sie jetzt tun....

     

    Wenn man sich das Protokoll der Sitzung anschaut, stellt man fest, dass sie zwar auf der Rednerliste des besagten TOP 21 stehen, es aber vorzogen, die Reden einfach zu Protokoll gegeben hat, anstatt sie zu halten.

     

    Wieland:

    http://dip21.bundestag.de/dip21/btp/17/17187.pdf

    Seite 183

     

    Auch Frau Fograscher von der SPD zieht es vor, diesen Weg zu gehen:

    http://dip21.bundestag.de/dip21/btp/17/17187.pdf

    Seite 180

     

    Niemand wird gezwungen, seine Rede zu Protokoll zu geben, wahrscheinlich wollten sie dann doch lieber das Fußballspiel sehen.

  • S
    sigibold

    Ach die arme Opposition konnte da gar nicht machen . Ein Herr Wehner wäre einfach nach vorne gegangen und hätte die Beschlussfähigkeit des Parlamentes prüfen lassen. Dann wäre zumindest an dem Abend der Spuk vorbei gewesen. Das ist nämlich der vorgesehene Notausschalter bei Kleinstbesetzung.

  • OP
    Otto Pardey

    Berlin die Achse des Boesen und in der Gewalt von Parteien-Diktatur

    in Deutschland.

  • ML
    Martin Luckenbach

    Es kann doch wohl nicht wahr sein, das eine Handvoll Abgeordneter über 85 Mill.Bürger entscheidet.

    Bei jeder vernünftigen Abstimmung muß eine entsprechende Anzahl Stimmberechtigter anwesend sein um überhaupt abstimmen zu können.

    Reichen im Bundestag etwa 3 Leute (2:1) für eine erfolgreiche Abstimmung?????????????????????????????

  • R
    reni

    Es war von allen Parteien nichts anderes zu erwarten. Warum hat niemand aus der Opposition die Beschlussunfähigkeit feststellen lassen? Eben. Weil es ihnen genauso egal ist wie den Regierungsparteien.

     

    Und jetzt lügen uns die Parteien wieder ins Gesicht, was sie alles gemacht hätten, aber leiderleider nicht anders konnten. Zieht doch allesamt auf die Cayman Islands und lasst uns hier in Ruhe.

  • JA
    J. Amazonas

    Vielen Dank an Patrick Beuth, Redakteur im Ressort Digital bei ZEIT ONLINE, der bereits am 2.7.2012 über den Skandal berichtet hat.

  • J
    jupp

    jajaja,

    das kommt dabei heraus, wenn Lobbyisten glauben,

    es würden sich Alle Bürger nur über das Singen bzw. Nichtmitsingen der Nationalhymne aufregen!

    Noch ein Stück aus dem Tollhaus.....

    Vielleicht ist der Pflege-Bahr ja auch so entstanden?

    Nein, da war die Lobby stärker!

  • DP
    Der Psüchata

    Liebe Leser,

     

    als Medizinredaktion der taz müssen wir Sie heute vor einer Epidemie warnen.

     

    Die insbesondere für CDU-, CSU- und FDP-Abgeordnete hochansteckende Krankheit, der wir nach der zuerst befallenen Patientin den Namen "Morbus Aigner" gaben, breitet sich insbesondere unter dem Einfluß von Lobbyistengeldern aus und führt zu einer dualen Meinung - man kann gleichzeitig für und gegen etwas sein, das aber beides mit Nachdruck und voller Hingabe.

  • V
    viccy

    Ein paar Sekunden unterschreiben bei campact kann also doch was bringen. Welche komfortable Form der Demokratie, anderswo riskiert man seinen Kopf für ein paar offene Worte.

     

    Nutzen wir die Freiheit!

  • TW
    Tumbes Walvi

    Ich würde gerne namentlich wissen, welche Abgeordneten für das Gesetz gestimmt haben. Auf dem Youtube-Video ist das ja relativ gut zu sehen. TAZ, bitte recherchieren.

  • K
    keiner

    Es zeigt sich, auch an den Einlassungen aus Bayern, dass es neulich eben doch kein Trick war, die Beschlussfähigkeit des Bundestags zu überprüfen, sondern dass das Bestehen auf Einhaltung dieses Quorums z.B. verhindern kann, dass einige wenige, wie hier geschehen, ihre Quasivollmacht missbrauchen, um Freund und Feind hinters Licht zu führen und vor vollendete Tatsachen zu stellen.

    Mich würde auch interessieren, ob sich die Beschlussfähigkeit des Bundestags im Nachhinein feststellen lässt und weiter, welche Implikationen sich daraus u.U. in Hinsicht auf die vom Bundespräsidenten zu leistende Unterschrift ergeben - immerhin bescheinigt er mit Ihr ja als eine Art Notar das verfassungsgemässe Zustandekommen der neuen Norm...

  • E
    Elbeo

    Also bitte: der Bundestag hat sich nicht verstimmt, die schwarze-gelbe Front wusste genau, was sie tat.

    Verstimmt IST höchstens die Bürgerschaft. Naja, bis auf jene, die für die Merkelschen Zustimmungsraten verantwortlich sind …

  • W
    Wolf

    Der größte Skandal ist nicht das Meldegesetz, was schon eine Unverschämtheit ist, sondern das ca.

    20 Politheinis ein Gesetz durchwinken können.

     

    Nach der Geschäftsordnung soll der Bundestag

    beschlussfähig sein, wenn mehr die Hälfte anwesend sind.

    Das war nicht der Fall.

    Schon allein, das die Beschlussfähigkeit nur auf Antrag geprüft wird, ist für mich der größte Skandal.

     

    Das alles hat nichts mehr mit Mehrheitsdemokratie zu tun sondern ist ein Schlag in das Gesicht des Wählers.

     

    Aber Vorsicht, hier wird nur von dem größten Skandal i.d. Geschichte der BRD, dem unsinnigen ESM und Fiskalpakt abgelenkt.

    Alles im Sinne von Drecksbanken im In- und Ausland

    auf Dauer und auf Kosten von unendlichen Generationen von Bürgern in Europa !

     

    Warum wohl hat der Brief von 160 Ökonomen i.d. Presse, hier und anderweitig, keine Nachhaltigkeit.

    Ganz einfach, weil die Presse und Journalisten schon lange vom Kapital gekauft sind !

  • R
    rugero

    Quick an d dirty

     

    Bauernschlaue Bayern zetteln den "Geniestreich" an zur garantierten Fußballzeit im fast leeren Bundestag und wenn es die Öffentlichkeit merkt zuckt man mit den Schultern und weiß gar nicht wer die Idee gehabt hat

     

    Höchste Zeit, daß diese für Deutschland peinliche Koalition der Realsatire ihr Unwesen beendet.

  • P
    Peter

    Kann denn nicht ein, falls es diese Spezies noch gibt, investigativer Journalist mal nachschauen, auf wessen Honorarlisten die Abgeordneten Hans-Peter Uhl und Gisela Piltz so stehen? Ist doch auffällig, mit welcher Vehemenz sie die Änderungen dieses Gesetzes durchgebracht haben.

  • P
    Peter

    Kann denn nicht, falls es diese Spezies noch gibt, ein investigativer Journalist mal nachforschen, auf wessen Honorarlisten die Abgeordneten Hans-Peter Uhl und Gisela Piltz stehen?

    Ist doch auffällig, diese Vehemenz, mit der sie das Gesetz geändert und durchgebracht haben.

  • G
    Gunter

    Parlament ade ! Diese Leute sind demokratiegefährdend und überflüssig in ihrem Diltantismus.

  • JD
    Johannes Döh

    Wenn die Sauereien so dreist werden, kann ein ehrlicher Demokrat doch nie wieder eine dieser Koalitionsparteien wählen. Zwar sind die Oppositionsparteien primär nicht zur Rechenschaft zu ziehen, doch diesmal wäre es sicher leicht gewesen, bei nicht einmal 30 Abgeordneten, eine Mehrheit dagegen zu formieren. Man kann eigentlich nur noch Piraten wählen...

  • S
    sammykarl

    Der Bundestag war zum Zeitpunkt der Abstimmung beschlussunfähig. Warum hat Frau Pau diese Beschlussunfähigkeit nicht festgestellt ?