: Um Schamhaaresröte
„Guten Morgen, Herr Grothe“ (20.15 Uhr, ARD) ist ein versöhnlicher Film über Rütli- und andere Schulprobleme
„Das mit den Schamhaaren, das habe ich selbst erlebt“, erzählte Regisseur Lars Kraume, als sein Film „Guten Morgen, Herr Grothe“ im Februar auf der Berlinale Premiere hatte.
Klassen-Provokation
Das mit den Schamhaaren, das ist einer von vielen Vorfällen in einer Berliner Haupt- und Realschule, die den Unterricht für Lehrer und Schüler fast unerträglich machen: Nico (Ludwig Trepte) schiebt im Unterricht seine ohnehin tief sitzende Hose noch weiter nach unten. Mit einer Schere schneidet er sich einige Locken Schamhaar ab, die er auf das Heft seines Vordermannes rieseln lässt. Der Aufschrei in der Bank vor Nico ist groß, doch Klassenlehrer Grothe (Sebastian Blomberg) ist wie so oft hilflos. Wie soll er den Dauerstörer noch unter Kontrolle halten?
„Guten Morgen, Herr Grothe“ ist der Film zur Rütli-Schul-Diskussion: Er zeigt, wie in einer zusammengewürfelten Schulklasse im Problemkiez die Probleme der Schüler so unterschiedlich sind – sei es durch ihren migrantischen oder sozioökonomischen Hintergrund –, dass eine individuelle Förderung kaum mehr möglich ist.
Die Wünsche und die Potenziale der Schüler bleiben im Kampf um die winzige Grundlage, auf der sich gemeinsam leben und lernen lässt, unerfüllt zurück.
Und doch ist „Guten Morgen, Herr Grothe“ auch genau kein Film zur Rütli-Diskussion. Denn er psychologisiert nicht und macht sich die Mühen einer differenzierten Darstellung: Für asoziales Verhalten gibt es nicht den einen Grund, der alles erklärt. Außerdem lässt der Film Entwicklung zu. Wenn Großmaul Nico und der schweigsame Duc (Tu Pahm Ngoc) dazu verdonnert werden, gemeinsam die Verpflegung für die Klassenfahrt zu kaufen, und die beiden ohne große Absprache im Asialaden Wassermelone und Tütensuppe klauen, dann scheint Gemeinschaft jenseits krampfiger Integrationsbemühungen möglich zu sein. – Jedenfalls für einen Moment.
Genauso prekär ist auch das Verhältnis zwischen Lehrer Grothe und Schüler Nico: Aufgerieben zwischen seiner gescheiterter Ehe, geteiltem Sorgerecht für den Sohn, anstrengendem Unterricht und der elendigen Freizeit, die sinnvoll gefüllt sein will, weiß Michael Grothe nicht, ob sein Engagement für Nico ein Ausweg aus seinem Lebenschaos darstellen könnte – oder doch nur dessen Fortführung.
Unbarmherziger Alltag
Jenseits von „Doktor Specht“-Aktionismus und „Wut“-Brachialität zeigen Regisseur Kraume („Keine Lieder über Lieder“) und Drehbuchautorin Beate Langmaak so humorvoll wie unbarmherzig die Peinlichkeiten des Schulalltags: die in Alufolie eingepackten Käsebrote, die ab 8 Uhr in der Schultasche ihr eigenes Aroma entwickeln; die unbeholfenen Referendare, die jede Unsicherheit gnadenlos von den Schülern heimgezahlt bekommen – und die zaghaften Annäherungsversuche zwischen Herrn Grothe und Kollegin Kranz (Nina Kunzendorf).
Was sich aus ihrem Verhältnis entwickelt, deutet „Guten Morgen, Herr Grothe“ nur an. Genauso wie das Schicksal von Nico. Kein hoffnungsvoller Film, aber ein versöhnlicher. HPI