Überzeugter Finanzsenator: "Ich weiß es besser"
Thilo Sarrazin gibt sich selbstbewusster denn je. Berlins Finanzsenator fordert radikalen Umbau des Föderalismus. Als neuer Chef der Finanzministerkonferenz muss der Einzelgänger sich nun zum Diplomaten wandeln.
taz: Herr Sarrazin, 2008 sitzen Sie der Finanzministerkonferenz (FMK) vor. Als Moderator sind Sie, gelinde gesagt, bislang nicht gerade aufgefallen.
THILO SARRAZIN, 62, hat als Finanzsenator eine erstaunliche Wandlung durchgemacht. Nach seinem Amtsantritt 2002 skandierten von Kürzungen bedrohte Kita-Erzieherinnen: "Die Kinder schrein, die Eltern fliehn / da hinten kommt der Sarrazin." Heute hat sich sein Mantra durchgesetzt: "Man kann nicht mehr ausgeben, als man einnimmt"
Ihre Entscheidung war auch ein Kompliment: Einmütig stimmten die 16 Finanzminister der Länder vergangenen Dezember dafür, Thilo Sarrazin für 2008 zum Vorsitzenden ihrer regelmäßig tagenden Runde zu machen. Die Finanzministerkonferenz (FMK) berät in diesem Jahr die Föderalismusreform, die eine schier unlösbare Aufgabe vor sich hat: Bund und Land sollen sich darüber einigen, ihre komplizierten Finanzströme neu zu ordnen. Sarrazin fordert den radikalen Umbau: Der Bund soll fast alle Steuern einziehen und an die Länder verteilen.
Thilo Sarrazin: Da schätzen Sie mich falsch ein. Natürlich habe ich mit meinen politischen Botschaften manchen geärgert. Aber hinter den Kulissen muss man den Laden zusammenhalten.
Das tun Sie?
Beim jüngsten Doppelhaushalt habe ich einen Entwurf vorgelegt, bei dem kein einziger strittiger Punkt mehr im Senat diskutiert werden musste.
Können Sie als FMK-Vorsitzender überhaupt etwas bewirken?
Moment: Ich sitze ja auch als Stellvertreter Klaus Wowereits in der Föderalismuskommission. Ob man als FMK-Vorsitzender besondere Akzente setzt, weiß ich noch nicht. Dort ist ja mein Job, die elf Sitzungen der Ministerriege in diesem Jahr zu moderieren.
Wie verträgt sich Ihr neuer Moderatorenposten mit Ihrem radikalen Vorschlag vom vergangenen Sommer? Damals plädierten Sie dafür, die Steuergesetzgebung und -verwaltung nahezu komplett dem Bund zu übertragen. Dafür holten Sie sich bei den Ministerpräsidenten prompt eine blutige Nase.
Besser als "radikal" klingt "grundlegender Neuordnungsvorschlag". Ich bleibe dabei: Mein Konzept ist richtig und zielführend. Andererseits muss man zur Kenntnis nehmen, dass sich die Mehrheit der Finanzminister und Ministerpräsidenten für Konzepte überhaupt nicht interessiert. Als Vorsitzender der Finanzministerkonferenz habe ich eine andere Aufgabe. Ich muss dafür sorgen, dass anstehende Entscheidungen auch getroffen werden. Da geht es nicht unbedingt nach meiner Meinung.
Was kann die Föderalismusreform II bei all diesen widerstreitenden Meinungen überhaupt leisten?
Das ist so eine Sache: Der Bund will die Steuerverwaltung an sich ziehen. Die reichen Länder wollen nichts abgeben und eigenständiger über die Festsetzung ihrer Steuern entscheiden. So könnten sie einen Teil ihres Reichtums dafür aufwenden, Unternehmen durch günstige Steuerbedingungen abzuwerben. Das wollen die armen Länder natürlich nicht.
Klingt nach einem gordischen Knoten.
Warten wir mal ab. Die beiden Kommissionsvorsitzenden, Peter Struck und Günther Oettinger, wollen ja einen gemeinsamen Vorschlag vorlegen.
Wie könnte das Ergebnis aussehen?
Ich glaube, es ist noch zu früh für Vorhersagen.
Verhindert der Bundestagswahlkampf nicht, dass es zu einer Einigung kommt?
Nach der Hamburger Bürgerschaftswahl Ende Februar hat die Kommission Zeit bis September oder Oktober, um sich zu einigen. Und die Bundesregierung hat ja ein Interesse daran, in diesem Jahr noch politische Handlungsfähigkeit zu zeigen. Alles andere empfänden die Bürger als unanständig.
Was hätte Berlin von einer Einigung? Ihr Vorschlag aus dem vergangenen Jahr sah ja vor
er sieht es vor - mein Vorschlag steht immer noch.
Na gut. Ihr Vorschlag sieht vor, dass arme Länder wie Berlin ihre Altschulden an den Bund übertragen können. Im Gegenzug dürften sie keine neuen Schulden mehr machen. Darf Berlin darauf noch hoffen?
Vor einem Dreivierteljahr schlug Baden-Württembergs Ministerpräsident Günther Oettinger ja Ähnliches vor. Wir in Berlin haben in den vergangenen Jahren größere Sanierungserfolge vorzuweisen als die anderen hoch verschuldeten Länder Bremen, Saarland und Schleswig-Holstein. Das muss uns auch zugutekommen. Falls es zu irgendeiner Art von Entschuldung kommt, muss Berlin mit Sicherheit dabei sein, da wir pro Kopf immer noch die höchste Belastung durch Altschulden haben.
Im vergangenen Jahr half Ihr Vorschlag einer "Volksaktie", die fast schon sichere Bahn-Privatisierung zu stoppen. Die SPD stimmte für das Konzept, seither liegt der umstrittene Verkauf des gesamten Unternehmens auf Eis. Sind Sie froh, dass Ihr Exchef Hartmut Mehdorn auf die Nase gefallen ist?
Es ging nicht um Mehdorn. Vorstandsvorsitzende kommen und gehen. Es ging darum, zu verhindern, dass die Eisenbahninfrastruktur privatisiert wurde. Das wäre eine verheerend falsche Weichenstellung gewesen. Mehdorn hatte ein großes Ziel: Er wollte das große Unternehmen Bahn als integrierten Konzern an die Börse führen. Dem hatte er alles untergeordnet, auch die Sachfragen. Deshalb bin ich Ende 2001 auch als Vorstand der DB Netz AG ausgeschieden. Sonst wäre ich dort untergegangen.
Wollten Sie mit der Idee einer "Volksaktie" Mehdorn eins auswischen?
Ich hatte in den 80er-Jahren im Bundesfinanzministerium lange genug mit Verkehrsfragen zu tun, um zu wissen: Die nötige Trennung von Infrastruktur und Betrieb steht zu einer Privatisierung des integrierten Konzerns im Widerspruch. Aber mit guten Argumenten kommt man in der Öffentlichkeit nicht weit. Es bedurfte noch einer genialen Idee, und die kam vom SPD-Bundestagsabgeordneten Hermann Scheer: das Wort "Volksaktie"! Das kam an, ich steuerte ein tragfähiges Konzept bei. So schloss sich auf dem SPD-Parteitag eine Mehrheit von 70 Prozent gegen die geplante Privatisierung zusammen, wenn auch zum Teil aus emotionalen oder sachlich falschen Gründen.
Was wollen Sie als Finanzsenator noch erreichen? Die öffentliche Aufmerksamkeit wendet sich jetzt Ihren Ressortkollegen zu, die mit Mehrausgaben in Wissenschaft und Bildung glänzen können.
Mir geht es ja nicht um die öffentliche Aufmerksamkeit. Die ist so ähnlich wie ein Flakscheinwerfer: mal ist das eine Flugzeug im Lichtkegel, mal das andere. Es gibt noch viel zu tun. Zwar können wir uns 2007 und 2008 über erste Überschüsse freuen - dank strikten Sparens, hoher Steuereinnahmen und Erlösen aus dem Landesbank-Verkauf. Wunderbar. Aber wir müssen weiter sparen. Berlins Solidarpaktmittel schwinden von derzeit fast 2 Milliarden Euro bis 2019 auf null. Ich komme mir vor wie ein Ingenieur, der auf eine Schalttafel schaut und darauf achtet, dass nichts in den roten Bereich rutscht.
Und droht etwas in den roten Bereich zu rutschen?
Na, ohne Ende! Mal will der eine mehr Geld für die Bädersanierung, der andere für die Bezirke oder für den Umgang mit jugendlichen Straftätern. Da muss man aufpassen. Wo ich einen Funken sehe, muss ich gleich drauftreten. Als wir vor ein paar Jahren die Zuschüsse für die Opern kürzten, hatte das exemplarische Wirkung. "Wenn die das schon kürzen", war in der ganzen Stadt klar, "gehe ich lieber in Deckung."
Ihr Bruder sagte einmal, Sie hätten als junger Student drei Ziele gehabt: die Bundeswehr reformieren, die Bahn umbauen und die deutsche Einheit gestalten. Hatten Sie schon immer das Gefühl, Sie wissen es besser?
Das ist in der Tat richtig. Ich hatte immer das Gefühl: Ich weiß es besser. Nehmen wir das Beispiel Bundeswehr. Der große Held war ich nicht gerade - nach zwei Jahren Wehrdienst verließ ich den Bund als Gefreiter. Aber ich habe mir die Strukturen angeschaut und überlegt: Wo lassen sie sich optimieren? Was täte ich, wenn ich russischer General wäre und die Bundesrepublik angreifen wollte? Ganz einfach: Ich würde Freitagnachmittag um 15.30 Uhr über die Grenze rollen. 80 Prozent der Bundeswehr-Soldaten waren da auf dem Weg ins Wochenende. Solche gewaltigen Organisationsdefizite haben mich schon immer aufgeregt.
Was war Ihr größter Fehler?
Es gibt etwas, das ist weniger ein Fehler als ein Irrtum. Und zwar der Irrtum, zu glauben, es gebe eine gesamtgesellschaftliche Lernkurve. Alles, was Menschen wissen, gerät auch wieder in Vergessenheit.
Zum Beispiel?
Ich habe über Jahre ausdauernd erklärt, was ein Primärdefizit ist. Im vergangenen Jahr saß ich im Abgeordnetenhaus. Der FDP-Fraktionschef Martin Lindner trat ans Rednerpult und sagte, man müsse mir zugestehen, dass ich es geschafft hätte, Berlin einen Primärüberschuss zu bescheren. Dabei hatten wir den schon 2006. 2007 gab es einen Finanzierungsüberschuss, also etwas viel Tolleres! Da schaute ich mich um, aber niemandem fiel es auf. Auch der Presse nicht. Da hatte ich meinen völligen moralischen Zusammenbruch.
Das ist auch eine Antwort: Sie haben keine Fehler gemacht, sondern die anderen.
Ich bin in meinem Leben vielen Irrtümern aufgesessen. Aber im Großen und Ganzen würde ich alles noch mal genauso machen.
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