■ Überzeugen Sie sich doch einfach selbst:: Hamburg ist anders
Wissen Sie, was ein Hüpfstampfer ist? Nein? Das ist schön, denn ich erkläre es gern. Ein Hüpfstampfer ist wie ein Preßlufthammer, nur erheblich intensiver. Um ein Vielfaches schwerer. Seltener auf und ab, dafür mit immenser Wucht – das ist das Prinzip. Viel höher hinaus und gewichtig – wumms! – auf das hinauf, was auf den Grund gestampft zu werden verlangt. Oder zu verdichtender Sand wird einfach – ummpff! – zu ewigem Gestein gedeckelt. Und wieder aufwärts, Schwung holen, hoch hinaus! Am Hüpfstampfer dran hängt ein massiger, rotgesichtiger Bauarbeiter wie ein Kleinkind an einem orientierungslosen Kampfkänguruh. Mit viel Mut und Kraft versucht der Bauarbeiter den Hüpfstampfer in etwa in den Grenzen des Baustellenareals zu halten. Denn das massige Gerät wuchtet sich selten gerade nach oben. Es wählt mal diese, mal jene Himmelsrichtung, um den schwitzenden Bauarbeiter mit immer wieder neuen Diagonalflugbahnen zu überraschen.
Überraschung, das ist das Stichwort. Vollkommen überraschend empfindet man plötzlich Mitleid mit dem wahrlich gebeutelten Bauarbeiter. Mehr noch: Man empfindet Sympathie. Dem preßlufthämmernden Kollegen schlägt nichts als Verachtung entgegen. Der nämlich beherrscht seine Maschine souverän und setzt sie gezielt ein, um beim Zeitunglesen zu stören. Neben ihm sorgt ein Teerkocher mit einem riesigen Lastwagen als Kochtopf dafür, daß man trotz kochtopfartiger Hitze die Fenster geschlossen halten muß und dennoch fast erstickt am Teergedämpf. Trotzdem müßte man die beiden eigentlich ehren und ihnen Erfrischungsgetränke offerieren, denn sie bauen unterbezahlt und schwitzend einen Fahrradweg, auf dem man in Kürze herumradeln wird, um neue Zeitungen zu holen. Man ehrt sie aber nicht, will man doch in Ruhe Zeitung lesen. Den Mann am Hüpfstampfer hingegen ehrt man sehr. Woran das liegt? An Hamburg natürlich.
Hamburg ist nämlich anders. Das habe ich von einem Werbeplakat gelernt, das ich dort gesehen habe. Darauf stand: „Hamburg ist anders.“ Zuerst dachte ich, das sei bloß zeitgeistiges Geschwätz, denn heute gilt ja vielen Menschen automatisch als gut, was anders ist, egal als was. Dann aber passierte die Geschichte mit dem Hüpfstampfer, und ich wurde nachdenklich. War nicht schon die Zugfahrt hierher angenehm anders gewesen?
Wir schreiben den Monat Fußballweltmeisterschaft des Jahres 1998. Die Zugchefin begrüßt die Reisenden: „Verehrte Fahrgäste, dieser Zug fährt nicht nach Paris, sondern nach Hamburg-Altona. Fahrgäste, die nach Paris wollen, werden gebeten, in Berlin-Spandau wieder auszusteigen. Ich wiederhole...“ Kein guter Witz, sicherlich, aber ein Witz. Von einer Zugchefin!
Natürlich muß ich nachlösen. Will die Bahncard rauswurschteln. „Lassen Sie mal“, sagt der junge Schaffner, „das glaube ich Ihnen mal so.“ Glaubt er so. Tippt was auf seinem Fahrschein-Gameboy und sagt: „Das sind dann 46,30 Mark, glaube ich.“ Glaubt er? Ja. Dann weiß er's: „Ja.“ Und fährt, meinen Hunderter entgegennehmend, fort: „Es gibt da ein Problem: Ich habe kein Wechselgeld. 100 Mark, 200 Mark, 500 Mark – alles kein Problem. Aber 10, 20, 50 – nee. 50 Franc hätt' ich noch anzubieten.“ Franc. Obwohl der Zug nicht nach Paris fährt.
In Hamburg habe ich dann außer dem Hüpfstampfer noch eine Fahrschule entdeckt, die es in puncto politische Korrektheit mit jedem Frauenzentrum aufnehmen kann. Im Schaufenster hängt ein Plakat: „Herzlich Willkommen in der Fahrschule Grumbach. Ausländerfreundlich und seniorenschrill. Zur Zeit lernen bei uns Schüler aus: ...“ Es folgt eine lange Liste Länder. 20 Stück, von Afghanistan über den Libanon bis sonstwas. „Lehrmaterial in allen gängigen Fremdsprachen.“ Natürlich. „Kinderbetreuung während der Fahrschule.“ Selbstredend. Vor allem aber sei diese Fahrschule auf Behinderte spezialisiert, lerne ich später von einem einheimischen Freund. Klar.
Rechts neben der Fahrschule Grumbach schließlich findet sich die „Kajüte“, so ein Laden, wo man besser nur reingeht, wenn man einer ist, der in solche Kneipen geht. Denkt man zunächst. Links von der Fahrschule Grumbach aber unterhält die „Kajüte“ einen winzigen Biergarten. Es ist der Abend des Spiels gegen die Kroaten. Im Biergarten hat man sich vor dem Fernseher versammelt. Darüber schweben leicht bewegt im hanseatischen Wind zwei Fahnen in stiller Eintracht: die deutsche und die kroatische.
Nachtrag: Die Fahrschule bei mir hier in Berlin um die Ecke, gleich bei den Plattenbauten, bietet neuerdings „FAP-Kurse“ an. Ob das was mit rechts fahren zu tun hat? Holger Wicht
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