■ Überschuß bedeutet nicht automatisch Autarkie: Gefährliche Illusion
Zugegeben, die Länder der Europäischen Union produzieren weitaus mehr Fleisch, Milch und Getreide, als wir, die Bevölkerung dieser Länder, selbst verbrauchen. Doch das rührt nicht nur her von überschüssig angebautem Getreide oder weit über das notwendige Maß hinaus herangezüchtetem Vieh. Es hat auch mit den modernen Eßgewohnheiten der Europäer zu tun.
Aufgrund der überall grassierenden Angst vor Übergewicht essen wir riesige Mengen Fisch (den wir zum allergrößten Teil aus außereuropäischen Ländern einführen) und bevorzugen Speiseöle, die aus Samen gewonnen werden (die großenteils nicht bei uns hochkeimen). Und wer von uns ganz auf Vegetarisch umgestellt hat, stützt seine Ernährung auf Soja – auch diese überwiegend eingeführt. Die Antwort auf die Frage, ob wir uns „selbst ernähren“ könnten, muß anders aussehen als nur die simple Feststellung des Überschusses. Entscheidend ist bei dieser Rechnung die Addition von Kalorien, Kohlehydraten, Vitaminen und Ballaststoffen. Das Ergebnis muß dann ins Verhältnis gesetzt werden zu dem, was die „autark“ bei uns produzierten Nahrungsmittel demgemäß bieten.
Und da sieht es gefährlich aus. Danach nämlich ist unsere tägliche Grundversorgung bei durchschnittlich gesundem Verzehr bereits nur noch zu knapp der Hälfte durch Eigenbau gewährleistet, und selbst bei einer Reduzierung der durchschnittlichen Ernährungswerte (etwa in Zeiten der Mißernte oder Krieg) ergeben sich keine drei Viertel Eigenabsicherung mehr.
Aber da sind ja noch die ungenutzten Flächen, tönt es dann oft. Auch hierüber gibt es gefährliche Illusionen. Viele der brachliegenden Äcker – deren Nichtnutzung heute von der EU zum Abbau des Fleisch- und Butterberges belohnt wird – sind nicht einfach von heute auf morgen wieder zu nutzen. In vielen Gegenden Europas hat auf der Brache längst die Erosion eingesetzt, in anderen Regionen (etwa Italien) wurden nach einiger Zeit auch Gebäude draufgesetzt, das Land also (illegal) konvertiert. Eine Wiederherstellung der agrarischen Nutzbarkeit dauert nach Meinung von Experten mindestens ein Jahrzehnt, ist die fruchtbare Krume erst einmal weggeflogen, der drunterliegende Lehm oder Stein zu knapp unter die Oberfläche gelangt.
Machen wir uns also nichts vor: Europa ist trotz aller Agrarhalden in Sachen Landwirtschaft, soweit diese zur Deckung des Nahrungsmittelbedarfs notwendig ist, eine Region, die verdeckt von Importen abhängig ist. Da entsteht eine Rechnung, die möglicherweise nicht erst unsere Kinder und Enkel, sondern womöglich noch wir selbst bezahlen müssen. Katiusha Berlinga
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