■ Über Tierschutzdemos in Brüssel: Andere Länder, andere Riten
Brüssel (taz) – Schweinequiecken vom Band, elektronisch verstärkt auf die Tonebene von Preßlufthämmern. Die High-Tech- Demo, die locker mit dreihundert Demonstranten auskommt und trotzdem nach Riesenspektakel aussieht, findet in Brüssel ziemlich genau alle vier Wochen statt. Das ist der Rhythmus, in dem die Agrarminister der Europäischen Union über die zeitliche Begrenzung von Schlachtviehtransporten feilschen. Angepaßte Technologie nennt man so was, denn vor dem Charlemagne, wo im 14. Stock die Agrarminister zusammensitzen, hätten nicht viel mehr Leute Platz zwischen sechsspuriger Stadtautobahn und den Betonburgen der europäischen Verwaltung. Außerdem stehen da immer die Kamerateams herum, die sonst die prickelnden Bilder von vorfahrenden Limousinen aufnehmen dürfen und von aus- oder einsteigenden Politikern, und die sich mit Begeisterung auf jeden Farbtupfer für ihre Bildteppiche stürzen. Der britische Sender BBC schaffte es zum Beispiel mit einer ausgefeilten Kameraoptik, 150 Tierschützer als die größte Demo zu verkaufen, die Brüssel je gesehen haben soll.
Das war kein Zufall. Die Veranstaltung ist in erster Linie eine britische. Es gibt zwar auch ein paar Deutsche, Belgier, Niederländer und Brigitte Bardot, aber nur als Einzelstücke. Die Megaphonsprache ist englisch, was die belgischen Polizisten zwingt, Passanten anzuhalten, die ihnen die Schlagworte ins landesübliche Flämisch oder Französisch übersetzen. Tierschutz scheint auf der Insel das wichtigste Anliegen überhaupt zu sein, jedenfalls ist es das einzige, für das Briten regelmäßig nach Brüssel fahren, um auf die Straße zu gehen. Oder Petitionen ans Straßburger Parlament schreiben. Ein englischer Abgeordneter, der davon erfuhr, daß irgendwo in Südspanien in einem Nest namens Villanueva alljährlich ein Esel zur Teilnahme an einem Dorffest gezwungen wird, sammelte in Großbritannien über eine Million Unterschriften gegen dieses südländische Treiben. Er gab sich erst zufrieden, als die Dorfältesten von Villanueva auf Druck des Europaparlaments schriftlich zusicherten, daß dem Esel keine artfremden Aufgaben zugemutet würden.
Auch wir sind gegen die Schinderei auf Tiertransportern und verdammen die Verantwortlichen, rätseln aber noch, was uns die Tierfreunde sagen wollten, als sie mit Schweinsmasken auf dem Kopf die Hymne anstimmten, mit der einst die amerikanische Bürgerrechtsbewegung die Aufhebung der Apartheid forderte: We shall overcome ... Vielleicht hatten die Organisatoren einfach umgeschaltet und richteten sich gar nicht mehr an die Landwirtschafts-, sondern an die Sozialminister, die ebenfalls im Charlemagne saßen und versuchten, gegen den Widerstand des Ministers aus London gleiche Rechte für alle europäischen Arbeiter durchzusetzen.
Oder sind es nur andere Länder, andere Riten. Kürzlich hat sich der britische Sozialminister erfolgreich dagegen gewehrt, daß die EU den Briten die Kinderarbeit verbieten wollte, während sein Agrarkollege unten vor der Tür seinen demonstrierenden Landsleuten versicherte, daß Brüssel der richtige Ort für ihre Proteste gegen die Tierquälerei sei.
Wie gesagt, unter den Demonstranten war auch Brigitte Bardot, die vor kurzem bei einer ähnlichen Demo eine Journalistin angefallen hatte. Als BB auf sie zugestürzt sei, erinnert sich die Kollegin, „da dachte ich: so ein Glück, jetzt will die Bardot ausgerechnet mir ein Interview geben“. War aber nicht so. Brigitte wollte ihr nur an den Mantelkragen, der aus dem Fell einer geschützten Tierart gekürschnert war. Die Welt ist voller Mißverständnisse. Alois Berger
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