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UdSSR: Eine Stadt unter Anklage

■ Prawda kritisiert verheerende Zustände in der dahinsiechenden Industriestadt Ufa / Die Schadstoffwolken ziehen durch die Wohnungen / Unterschriftensammlung der Bewohner

Von Alison Smale

Moskau (ap) - Eine Industriestadt mit mehr als einer Million Einwohnern im Uralgebirge ist chemisch so verseucht, daß sie als Wohnort von Menschen „kaum noch geeignet“ ist. Dies meldete am letzten Mittwoch die Parteizeitung Prawda. Sie verwies darauf, daß es in Ufa, der Hauptstadt der Autonomen Sozialistischen Sowjetrepublik Baschkirien, mehr als 400 Industriebetriebe gebe. Bei den meisten dieser Werke handle es sich um Chemie– Kombinate und Ölraffinerien. Der Schadstoffgehalt der Luft liegt laut Prawda in Ufa mehrfach über den Normen. Das Parteiorgan berichtete, es habe mit eigenen Untersuchungen begonnen, nachdem ein Brief mit 3.000 Unterschriften der Bewohner von Ufa - 1.300 km östlich von Moskau - in der Redaktion eingegangen sei. Der Prawda–Bericht war einer der härtesten Artikel über Umweltfragen in den sowjetischen Medien. Den Stadtvätern, aber auch den Moskauer Ministerien warf die Parteizeitung vor, die In dustrialisierung immer weiter zu treiben, wobei Obst und Gemüse in erheblich verseuchten Gebieten angebaut werden. Schon 1981 hätten Moskauer Behörden verfügt, daß der Bau neuer Industrieanlagen in großen Städten begrenzt werden solle. Die frühere Führung der Autonomen Baschkirischen Republik aber habe sich nicht an diese Verfügung gehalten und den Ministerien gestattet, immer neue Industriebetriebe zu errichten. Über die Autonome Baschkirische Sowjetrepublik ist mehrfach berichtet worden. Im Juni hatte die Prawda von Vetternwirtschaft und politischer Unterdrückung in der Region gesprochen. Unter anderem sollen hohe Beamte ihnen mißliebige Gegner einfach ins Gefängnis gesteckt haben. Der regionale Parteichef Midchat Schakirow wurde nach Erscheinen des Prawda–Artikels amtsenthoben. Dem Brief der 3.000 Einwohner von Ufa zufolge kann man in dem stark industrialisierten Nordteil der Stadt die Schadstoffwolken selbst bei geschlossenen Fenstern durch die Wohnungen ziehen sehen. Die Behörden „hätten schon längst die Verwendung von Brunnenwasser und den Verzehr von Obst und Gemüse aus einer Anbau–Zone von zehn Kilometer rund um die Fabriken verbieten müssen“, hieß es in dem Brief. „Aber noch heute gibt es ganze Ketten von Gartenkollektiven in dieser Zone.“ Nach Angaben der Prawda haben die baschkirischen Behörden auf einer Parteisitzung im Sommer die Verseuchung erörtert. Zwei in der Region liegende Industriestädte hätten dabei Pläne über Aufwendungen in Höhe von 500 Millionen Rubel (1,39 Milliarden Mark) zur Verbesserung der Situation vorgelegt. In diesen beiden Städten will man mehrere Industriebetriebe schließen. Ufa aber habe keinerlei Pläne für eine umweltpolitische Verbesserung der Lage vorgelegt.

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