piwik no script img

USA erwartet Kurswechsel wie 1932Hoffen auf Obamas "New Deal"

Amerika befindet sich 2008 in einer ähnlichen Situation wie 1932, als Roosevelt gewählt wurde. Dessen New Deal ist ein Referenzpunkt für die Erwartungen an Obama.

Hohe Einkommen und Vermögen massiv besteuert: Franklin D. Roosevelt im Jahr 1932 Bild: ap

Es ist 1936, nur wenige Tage vor der Präsidentschaftswahl. Amtsinhaber Franklin Delano Roosevelt steht vor 20.000 Anhängern im New Yorker Madison Square Garden. Roosevelt redet von Frieden, von jenem inneren Frieden, den er seit vier Jahren versucht seinen von der Wirtschaftskrise verängstigten Landsleuten zurückzugeben. "Wir kämpfen seit vier Jahren erbittert gegen die Feinde dieses Friedens", sagt er. "Wir kämpfen gegen die Hochfinanz und die Wirtschaftsbosse, die gewissenlosen Spekulanten, gegen die Gegnerschaft zwischen den sozialen Schichten unseres Landes und gegen die Kriegsprofiteure. Sie alle hatten sich daran gewöhnt, die amerikanische Regierung als Anhängsel ihrer Geschäfte zu betrachten. Jetzt hassen sie mich und ich begrüße ihren Hass. In meiner ersten Amtszeit haben diese Kräfte des Egoismus und der Gier in mir einen gleichwertigen Gegner gefunden. In meiner zweiten Amtszeit werden sie in mir ihren Bezwinger finden."

Die Rede ist heute ein Klassiker - sie gilt als Manifest von Roosevelts politischer Philosophie. Es war die Philosophie des New Deal, jener "neuen Übereinkunft" zwischen den amerikanischen Bürgern und ihren Politikern, die das Land aus der Wirtschaftskrise der 20er-Jahre heraus in eine lange Ära des Massenwohlstands führte. In den USA des Jahres 2008 wünschen sich viele, dass Barack Obama in vier Jahren eine ähnliche Rede wird halten können. Man hofft auf eine Wiederkehr des New Deal. Obama soll für Amerika das Gleiche tun, was damals Roosevelt getan hat. "Die neue demokratische Mehrheit", schrieb Nobelpreisträger Paul Krugman, "sollte um des Landes willen beherzt ein liberales Programm verfolgen, indem sie das Netz der sozialen Sicherheit erweitert und die Ungleichheit verringert, mit einem Wort: einen neuen New Deal."

Amerika befindet sich 2008 in einem verblüffend ähnlichen Moment wie 1932, als Roosevelt zum ersten Mal gewählt wurde. Roosevelts Vorgänger Herbert Hoover war noch unpopulärer als George Bush. Wie Bush galt er als unwillig und unfähig, den Herausforderungen der Zeit - der Wirtschaftskrise von 1929 - adäquat zu begegnen. Seine Philosophie, dass die Freiheit des Individuums um keinen Preis durch die Regierung eingeschränkt werden darf - im Kern nichts anderes als der Neokonservatismus von Bush -, verschlimmerte die Auswirkungen der Krise um ein Vielfaches.

"Wir hatten vier Jahre lang eine Regierung, die Däumchen gedreht hat, anstatt die Ärmel hochzukrempeln", sagte Roosevelt in seiner Madison-Square-Garden-Rede. Ein Zitat, das genauso gut von Obama 2008 stammen könnte.

Roosevelts New Deal beendete die ungebremste Frühphase des amerikanischen Kapitalismus, des "langen goldenen Zeitalters", wie Krugman die Zeit von Beginn der Industrialisierung bis zur Wirtschaftskrise nennt. Roosevelt regulierte als Erster in den USA die Finanzwelt und die Kartelle und er baute ein System der sozialen Sicherung auf. Er stärkte die Gewerkschaften und er führte die allgemeine Sozialversicherung ein, die bis heute gilt und an der Bush als Erster zu kratzen wagte, indem er versuchte, sie zu privatisieren. Vor allem aber besteuerte Roosevelt massiv die hohen Einkommen und großen Vermögen und schaffte das, was Krugman die "große Kompression" nennt: die deutliche Verringerung der Kluft zwischen Arm und Reich und des Lohngefälles unter den Arbeitnehmern. Amerika wurde zu einer stabilen Mittelstands-Gesellschaft.

Viele von Roosevelts Maßnahmen finden sich in Obamas Plänen wieder. Die Besteuerung von hohen Einkommen und die Verminderung der Ungleichheit gehörten von Anfang an zu seinen wirtschaftspolitischen Prioritäten. Aber nicht nur in dieser Hinsicht ähneln Obamas Vorstellungen vom Amerika der Zukunft denen von Roosevelt. In den amerikanischen Geschichtsbüchern wird der New Deal mit Roosevelts großen Regierungsprogrammen in Verbindung gebracht, mit denen er die Arbeitslosigkeit bekämpfte und die Konjunktur ankurbelte. Obama versprach schon vor dem Börsencrash solche Infrastruktur- und Umwelttechnologie-Investitionen in Höhe von mindestens 50 Milliarden Dollar. Seitdem hat er mehrmals nachgelegt.

Am meisten Hoffnung darauf, dass Obama ein neuer FDR wird und Amerika kurz vor einem New New Deal steht, macht jedoch nicht sein Keynesianismus und seine feste Überzeugung, dass die Beseitigung von Ungleichheit der gesamten Wirtschaft nützt. Viel mehr noch erinnert an den New Deal Obamas Erneuerung eines Verständnisses des "Gemeinwohls als etwas, das mehr ist als die Summe der Einzelinteressen", wie der politische Philosoph Michael Sandel vergangene Woche sagte. "Den heftigsten Applaus", so Sandel, "bekam Obama während seines Wahlkampfes, als er sagte, er werde es jedem Amerikaner ermöglichen, ein College zu besuchen, wenn dieser als Gegenleistung ein Jahr Zivildienst leistet." Obama, so Sandel, habe bei Amerikanern einen seit langem schlummernden Hunger danach geweckt, einer Sache zu dienen, die größer ist als sie selbst, eine Sehnsucht danach, sich wieder als Bürger zu fühlen. Der New Deal hat gezeigt, wie viel diese Sehnsucht in Amerika zu bewegen vermag, wenn sie kanalisiert wird: Nicht einmal beinahe 30 Jahre konservativer Dominanz in den USA haben es fertiggebracht, Roosevelts Werk wieder zu zerstören.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

2 Kommentare

 / 
  • JP
    Joachim Petrick

    Wie in allen Familien hat auch dieser zündende Vergleich von Franklin Delano Roosevelt und Barack Hussein Obama ein Ach unterm Dach. Roosevelt hatte, staatlich hochverschuldet, historisch sein ideologisch hoch aufgerichtes Gegenüber in Uncle “Josef Stalin“, in dem nebulös brachial verbrecherischen Gesellschaftsentwurf der Staatlichen Ein- Parteien Despotie der UdSSR.

    Sowohl in der UdSSR als auch in den USA waren die Finanzen staatlich weg mit unbekannter Adresse auf Reisen, z. B. in die Schweiz?!

     

    Das Ergebnis dieser fiskalischen Roosevelt Misere war die Flucht in die Finanzierung von Aufrüstung, selbst über Henry Ford Werke im NS- Reich hin zum Krieg per staatlicher Schuldenaufnahme „Military New Deal“, wie diesen seit Nine Eleven forciert George W. Bush einfallsreich entgrenzt adaptiert.

     

    Der USA- Staat hat sich damals erst nach 1945/53 als Gläubiger per Nachkriegskonjunktur auf Kosten vieler ziviler und uniformierter Opfer saniert

    .

    Barack Obama hat zum Glück kein vergleichbares Gegenüber.

    Das Geld ist auch noch da, wenn auch nicht in Amerika, nur woanders, nicht nur in Steueroasen wie der Schweiz, Vatikanstaat, Bahamas, Insel Jersey, sondern in der EU, China, Russland, Indien, Brasilien als horrendes Handels- und Leistungsbilanzüberschuss in Gestalt gigantischer Devisen Reserven.?

    Ist unser Glück gegenüber 1932/36 kaum zu fassen!? Machen wir was draus!?

    tschüs

    JP

  • S
    snowie

    Der Auszug aus Roosevelts Rede ist echt faszinierend. Dass er das überlebt hat, sowohl physisch, als auch politisch, ist schon erstaunlich. Schon Obama wurde ja wegen viel harmloserer Sätze als "socialist" und "communist" etc. beschimpft (für die meisten US citizens sind das nämlich Schimpfwörter). Hoffentlich lässt er sich von Fox News und anderen Machtblöcken nicht allzu sehr blockieren.

     

    Die Idee mit dem civil service finde ich aber fragwürdig. Wenn das auf Niedriglohnarbeit hinausläuft, zerstört es mittel- und langfristig viele bessere Arbeitsplätze, so ähnlich wie viele Praktikumsstellen. Wenn damit aber 'normal' bezahlte staatliche Beschäftigung gemeint ist (was ich aber nicht vermute), wäre es okay, z.B. verbunden mit Ausbildungsplätzen und Arbeitsplätzen in der Solar- und Windenergiebranche. Die Herstellung und dann die Installation von Solaranlagen auf vielen Mio Gebäuden könnte eine enormen Konjunkturschub geben, z.B. angefangen in den counties der Bundesstaaten die mehrheitlich Obama gewählt haben oder demokratische Senatoren etc.

    z.B. an der Südostspitze Floridas, im Norden u. Südwesten von New Mexico u.s.w. Auch an Land und in Küstengewässern Zehntausende Windräder zu errichten wäre nicht schlecht.

     

    Was höhere Steuern für Extremreiche angeht, fällt mir die Forbes-Liste von 2008 ein, (je in US Dollar) B. Gates: ca. 57 Milliarden, W. Buffett: ca. 50 Mrd, Larry Ellison: 27 Mrd, diverse WalMart GroßaktionärInnen: jeweils mehr als 20 Mrd. u.s.w.

    Und das ist nur die Spitze der Spitze der Spitze der Kapital-Berge.

     

    Preisfrage: Was macht man sinnigerweise, wenn man eine extrem löchrige Straße hat, an deren Rand aber einige große und sehr große Schotterhaufen? Antwort: In der DDR hätte man die Schotterhaufen versteckt, da es sie nicht geben darf (und alle hätten sich privat ein bisschen davon 'was weggenommen), aber in normalen kapitalistischen Ländern (z.B. auf Anraten des IWF) vergrößert man oft die Löcher noch, und erhöht damit die Schotterhaufen, weil dies ja dringend gebraucht werden (die gnädigen "Arbeitsplätzesicherer"), logisch, oder?