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■ USA blockieren Einsatz der Eingreiftruppe in SarajevoEs geht um die Teilung Bosniens

Über einen Einsatz von neuen Eingreiftruppen in Bosnien-Herzegowina ist Ernüchterung eingekehrt. Die Aufgaben der neuen Eingreiftruppen aus Großbritannien, Frankreich und den Niederlanden wurden bei den Verhandlungen der entsprechenden Nato- und UNO-Gremien Zug um Zug geschmälert. Und mit der Diskussion im Weltsicherheitsrat vom Dienstag bleibt die Finanzierungsfrage ungelöst. Der ursprüngliche Impuls des Westens, endlich Flagge zu zeigen und der unglücklich operierenden UNO auf die Sprünge zu helfen, scheint im Gestrüpp der unterschiedlichen politischen Interessen verlorengegangen zu sein.

Mit den Luftangriffen der Nato und der Implementierung neuer internationaler Truppen war zunächst nämlich das Eingeständnis verbunden, daß die verfahrene Politik der Vereinten Nationen in Kroatien und Bosnien-Herzegowina nicht mehr länger hingenommen werden kann. Die „Friedenstruppen“ der UNO konnten weder den Frieden erhalten noch „schaffen“. Sie desavouierten das Konzept der Schutzzonen. Sie waren nicht in der Lage, die Hilfstransporte abzusichern. Die UNO- Truppen konnten nicht einmal sich selbst schützen und wurden damit zur Dispositionsmasse für Erpressungen der serbischen Seite. Es ist der UNO also nicht gelungen, das vorgegebene Mandat zu erfüllen. Indem einzelne Staaten – wie Rußland und Griechenland, aber auch Frankreich und Großbritannien – die Vereinten Nationen in Ex-Jugoslawien zudem als Hebel ihrer nationalen Außenpolitik gebrauchen, ist die UNO-Politik in Kroatien und Bosnien-Herzegowina tatsächlich an einem Tiefpunkt angekommen.

Die daraus resultierende Desorganisation läßt sich nicht nur an dem Drama mit den Geiseln ablesen. Zu den ersten Lektionen militärischer Planer müßte es eigentlich gehören, vor einem eigenen Angriff die verwundbarsten Teile der eigenen Truppen zurückzuziehen. Weist dies nur auf „Mängel an Koordination zwischen UNO und Nato“ hin (so der deutsche Verteidigungsminister Rühe), oder auf divergierende Interessen innerhalb der UNO und der Nato? Jedenfalls wurden die von den USA befürworteten Nato-Bombenangriffe gestoppt und die serbische Führung um den mutmaßlichen Kriegsverbrecher Karadžić und den serbischen Präsidenten Slobodan Milošević ins politische Spiel zurückgebracht. Dabei haben sich die hartnäckig gestreuten Gerüchte über die angeblich unüberwindliche Spaltung zwischen Karadžić und Milošević längst als Irreführung der Weltöffentlichkeit erwiesen.

Angesichts der politischen Differenzen zwischen USA, Rußland und den EU-Mitgliedern Frankreich und Großbritannien bedeutet die Implementierung neuer Truppen aus Frankreich, Großbritannien und den Niederlanden – nüchtern betrachtet – nichts anderes als die Ausweitung des politischen Einflusses der Entsenderstaaten in der Region. Die auffällig schnelle Reaktion des britischen Premiers Major, der kürzlich noch mit dem Rückzug der britischen UNO-Truppen drohte, dessen Regierung jetzt aber bereit ist, ein Kontingent von 5.500 Mann für eine eigenständige britische Einheit sowie weitere 3.000 Mann für die mit den Franzosen und den Niederländern zu bildende multinationale Streitmacht zu stellen, weist in diese Richtung. London und mit Abstrichen auch Paris haben sich in eine Schlüsselrolle im bosnischen Krieg manövriert. Und last not least: der eigenständige US-amerikanische Handlungsspielraum in Bosnien scheint mit der Offensive dieser „Europäer“ eingeschränkt. Angesichts dieser Konstellation kristallisieren sich drei politisch-militärische Optionen für die neue Eingreiftruppe heraus.

Erstens ist die Frage des Abzugs der UNO-Truppen bei geichzeitiger Aufhebung des Waffenembargos gegenüber der bosnischen Armee noch nicht endgültig gelöst. Beharrte der US-amerikanische Kongreß auf dieser Forderung und setzte sich Präsident Clinton gegenüber den Verbündeten mit Erfolg dafür ein, wären die Eingreiftruppen lediglich dazu da, den Rückzug der UNO-Truppen aus einigen Regionen Bosniens abzusichern. Dazu gehörte die Sicherung des Rückzugs der Blauhelme aus Sarajevo, den Enklaven Zepa, Goražde, Srebrenica und Bihać. Aus Zentralbosnien dagegen könnten die Truppen ohne besondere Schutzmechanismen abziehen. Dieses Szenario des Vollabzugs der UNO-Truppen wird jedoch angesichts des gewachsenen Einflusses Londons und Paris immer unwahrscheinlicher. Diese Option böte andererseits der bosnischen Armee die Gelegenheit, das gesamte Bosnien-Herzegowina zurückzuerobern.

Realistischer bleibt jedoch die zweite Option eines Teilabzugs. Wiederholt haben sowohl die französische wie auch die britische Regierung diese Variante schon in der Vergangenheit ins Spiel gebracht. Nach den Vorstellungen des ehemaligen Kommandeurs der UNO- Truppen in Bosnien, General Michael Rose, sollten sich die UNO- Truppen aus den Enklaven Zepa, Goražde und Srebrenica zurückziehen. Faktisch bedeutete dies die Übergabe dieser Enklaven an die serbische Seite und die Evakuierung der Bevölkerung aus diesen Enklaven mit Hilfe der Eingreiftruppen. Die Eingreiftruppen hätten dann die Aufgabe, nicht nur den Rückzug der Blauhelme aus den ostbosnischen Enklaven zu sichern, sondern auch die dort befindlichen Regierungstruppen zu entwaffnen. Im Gegenzug sollen serbisch besetzte Gebiete nördlich und westlich Sarajevos unter die Kontrolle der bosnischen Regierung gestellt werden. Der größte Teil der geteilten Stadt Sarajevo wäre dann mit den von der bosnischen Regierung kontrollierten Regionen Zentralbosniens verbunden. Dieser Vorschlag wird auch von dem UNO-Unterhändler Yasushi Akashi ernsthaft in Erwägung gezogen.

Angesichts dieser schon offen formulierten zweiten Option fürchten bosnische Offizielle, daß mit der Implementierung der neuen Eingreiftruppe die Entwicklung sogar noch zu einer für sie schlimmeren, dritten Option, führen könnte. Da es sowohl der bosnischen wie auch der kroatisch- bosnischen Armee in den letzten Monaten gelungen ist, die serbisch-bosnische Armee Kilometer um Kilometer zurückzudrängen, könnte die Eingreiftruppe sich allgemein gegen die bosnischen Regierungseinheiten stellen. Schon jetzt sollen britische Diplomaten vehement gegen die geplante Offensive der bosnischen Armee zur Befreiung Sarajevos protestiert haben. Auffällig ist in diesem Zusammenhang die leiser werdende Kritik an der Eingreiftruppe aus Moskau, Pale und Belgrad. So könnte die Eingreiftruppe letztendlich zu dem Instrument werden, die bisher gescheiterten Teilungspläne in Bosnien-Herzegowina doch noch durchzusetzen. Daß die USA in der Frage der Finanzierung der Truppe die Bremse gezogen haben und die bosnische Armee Sarajevo in den nächsten Tagen aus eigener Kraft befreien will, weist andererseits auf die Grenzen der Interessenpolitik der „Europäer“ hin. Erich Rathfelder

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