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USA-Fotografie von Lee FriedlanderOn the Road

Amerika, vom Mietwagen aus gesehen: Bilder des großen Fotografen Lee Friedlander sind derzeit in New York in gleich zwei Ausstellungen zu sehen.

Ein Friedlander-Blick auf Friedlander-Bilder: Ausstellung des Fotokünstlers, hier in Barcelona. Bild: ap

Im Grunde folgen Lee Friedlanders Fotografien Gary Winogrands berühmtem Satz: "Ich fotografiere, um zu sehen, wie die Welt fotografiert aussieht." Friedlanders Schwarzweißfotos setzen sich aus Flächen, Linien, Hell-dunkel-Kontrasten, Licht und Schatten zusammen. Oft gibt es Rahmungen innerhalb eines Bildes oder Objekte, die Friedlanders Aufnahmen in den merkwürdigsten Winkeln durchkreuzen, Bäume etwa oder Straßenschilder. Selten ist ein Gegenstand komplett zu sehen, so dass er immer auch als geometrische Form wahrgenommen wird.

Der junge Lee Friedlander war gleichermaßen von den Bildern Robert Franks wie von der Jazzmusik beeinflusst, und diese Liebe zur Improvisation über ein Thema ist integraler Bestandteil seiner Arbeitsweise geworden. Fast immer arbeitet Friedlander in Serien - etwa über Blumen, Gärten, Landschaften oder amerikanische Industrieregionen. Friedlander, 1934 in Aberdeen im Bundesstaat Washington geboren, begann seine Karriere Mitte der Fünfzigerjahre als Musikfotograf, unter anderem porträtierte er Miles Davis, John Coltrane und Ornette Coleman. Seine heute wohl berühmtesten Musikerporträts stammen allerdings aus dem Jahr 1979: Es sind jene Aktbilder einer jungen, damals noch völlig unbekannten Madonna, von denen eines im vergangenen Jahr für knapp 37.000 Dollar bei Christies versteigert wurde.

Zurzeit sind in New York gleich zwei Friedlander-Ausstellungen zu sehen. "America by car" im Whitney Museum und "Recent Western Landscape" in der Mary Boone Gallery. Die dort gezeigten Bilder hat Lee Friedlander 2008 und 2009 im Westen der USA aufgenommen: in der Mojave-Wüste, in Santa Fe, im Death Valley. Die eng gehängten Fotografien haben allesamt das gleiche Format, 20 mal 16 Zoll, keines trägt einen Titel, es gibt weder Angaben zum Ort noch zum Zeitpunkt der Aufnahmen. Die Serie erscheint reduzierter als andere Friedlander-Serien: Kein Mensch taucht hier auf, auch keine vom Menschen erschaffenen Objekte. Nur Baumstämme, Äste, Zweige, Blätter, Berge, Himmel, manchmal Schnee.

Was die Ausstellung im Whitney Museum so außergewöhnlich macht, ist die Tatsache, dass Lee Friedlander sämtliche Bilder aus Mietwagen heraus geschossen hat. Man mag darin einen Kommentar zur Liebe des Amerikaners zum Auto sehen. Oder eine gewisse Ehrlichkeit, die Friedlander seinen Fotografien eingeschrieben hat: die Tatsache nämlich, dass sich jene abgeschiedenen Fleckchen Erde, an denen er viele seiner Bilder gemacht hat, eben nur per Auto erreichen lassen und somit der Traum von einer Rückkehr zu den Wurzeln immer eine Illusion bleibt. Gleichzeitig scheinen sie jenem Prinzip zu folgen, das Friedländer in früheren Arbeiten dazu bewogen hat, seinen Schatten mit zu fotografieren.

Und natürlich schreiben sich auch diese Bilder ein in den Mythos vom amerikanischen Traum vom "On the Road"-Sein, vom Kerouacschen Unterwegssein um des Unterwegsseins willen. Vor allem jedoch stellt das Auto für Lee Friedlander eine Möglichkeit zur Verschiebung, zur Synkopierung dar: Das Fenster wird zum Rahmen, die schroffen Kanten der geöffneten Tür unterteilen die Aufnahmen, Spiegel und Fensterscheiben reflektieren, verzerren oder verdoppeln Objekte.

Die Resultate sind atemberaubend. Mal bildet eine Büffelherde in der Ferne eine Parallele zum getönten, dreiviertel geöffneten Fenster. Mal schießt ein schmaler Baum aus der Schnittstelle zwischen Lenkrad und Windschutzscheibe hervor. In ihrem Spiel mit den unterschiedlichen Oberflächen und Texturen, in der Kontrastierung der scheinbar unvermittelten Landschaft durchs offene Fenster mit den anderen, den staubigen oder mehrfach gebrochenen Ausblicken auf sie sind diese Fotos - nicht nur im ironischen Kommentar des zusammengekniffenen Fotografenauges, das plötzlich im Seitenspiegel erscheint - immer auch Reflexionen über das Medium Fotografie.

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