USA: DIE ABTREIBUNGSGEGNER SETZEN AUF NEUE RECHTE RICHTER : Schaden für Frauen und Grundrechte
Zeit und Ort des Angriffs waren gut gewählt. Nur wenige Wochen nach dem Amtsantritt zweier konservativer Richter am Obersten Gerichtshof der USA hat gestern der Gouverneur von South Dakota, einem ebenso konservativen wie menschenleeren Bundesstaat, ein Gesetz unterschrieben, das Abtreibungen generell unter Strafe stellt – mit der einzigen Ausnahme bei Gefährdung des Lebens der Mutter. Weitere Bundesstaaten werden folgen. Damit wurde eine lang vorbereitete, konzertierte Aktion losgetreten, an deren Ende ein landesweiter Sieg der christlichen Ultras stehen könnte.
1973 hatte eine liberale Mehrheit des Supreme Court im legendären Verfahren „Roe vs. Wade“ geurteilt, dass schwangeren Frauen das Recht zustehe, selbstbestimmt über den Abbruch der Schwangerschaft zu entscheiden. Entgegenstehende Gesetze der Einzelstaaten wurden für nichtig erklärt. An diesem Urteil hielt das Gericht fest, zuletzt mit knapper Mehrheit. Jetzt könnte der Zeitpunkt gekommen sein, es zu kippen. Einer der beiden neuen Richter, Joseph Alito, hat sich geweigert, „Roe vs.Wade“ als allgemein geltenden Richtspruch, als „settled law“ anzuerkennen. Der andere, der künftige Vorsitzende, Richter Roberts, hat sich ein Hintertürchen offen gelassen. Da weitere hochbetagte liberale Richter nicht mehr lange amtieren werden, ist eine stabile Mehrheit aus rechten und ultrarechten Richtern kaum noch vermeidbar.
Bislang verfolgten die Konservativen die Taktik, das Recht auf Abtreibungen einzuschränken bzw. Abtreibungen faktisch zu erschweren. Auch Bush, ein Abtreibungsgegner, will den Abbruch bei Inzest, Vergewaltigung oder drohenden gesundheitlichen Schäden bei der Mutter zulassen. Der jetzige radikale Vorstoß aus South Dakota widerspricht dieser Linie nicht. Er wird das scheibchenweise Vorgehen als kleineres Übel erscheinen lassen und der weiteren Demontage den Weg ebnen.
1973 wurde das Selbstbestimmungsrecht von Frauen bei der Abtreibung mit dem Recht auf „privacy“ begründet, das sich für die Richter aus den Freiheitsrechten der Verfassung ergab. Wird dieses Grundrecht jetzt bei Abtreibungen beseitigt, so ist der gesamte verfassungsgemäße Grundrechtsschutz in den USA gefährdet. CHRISTIAN SEMLER